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Durch die Initiative des Deutschen Vereins ist auf diese Weise
ein äusserst werthvolles, für die gesetzgeberische Reform mindestens
ebenso bedeutsames Material zusammengebracht, wie die Reichs-
armenstatistik bietet.
Wie in England die kleinen Kirchspiele als ungeeignet zur Ver-
waltung einer tüchtigen Armenpflege erkannt worden sind, so ergeben
die Berichte, dass auch bei uns die Zustände in den kleineren, be-
sonders ländlichen Gemeinden eine Umgestaltung der die Organi-
sation der öffentlichen Armenpflege betreffenden Gesetzgebung er-
heischen; dass eine vermehrte Leistungsfähigkeit auf dem doppelten
Wege:derVerbindung mehrerer kleinerer Armenverbände zu grösseren
Verbänden, sei es für die gesammte Armenpflege, sei es für einzelne
Zweige derselben, und der Entlastung der localen Armenverwal-
tung durch Uebertragung gewisser dazu geeigneter Gegenstände der
Armenpflege auf die grösseren Kommunalverbände erstrebt werden
muss. Die Thesen, welche in dieser Richtung von dem Deutschen
Verein für Armenpflege gut geheissen sind, stimmen im Resultat im
Wesentlichen überein mit den Reformbestrebungen, welche Münster-
BERG S. 876—458 darstellt. Sie nähern sich den Einrichtungen, welche
in England an der Hand der Erfahrung getroffen sind; insbesondere
auch in den Vorschlägen, welche sich auf die Betheiligung der grössern
Verbände an den Kosten derjenigen Zweige der Armenpflege beziehen,
die dem Wirkungskreise der Ortsarmenverbände verbleiben müssen.
{S 7. — Ascnrorr S. 112, MünsterBERG 9. 455.)
Auch in einem anderen Punkte dürfte die Reform unserer Armen-
gesetzgebung der Entwicklung in England folgen. Dass man in
Deutschland jemals zu dem Heimathsprineip zurückkehren werde, ist
kaum anzunehmen. MüÜnsTERBERG hat die Unmöglichkeit überzeugend
nachgewiesen; es sei denn, dass man mit den Grundsätzen der Frei-
zügigkeit brechen wollte (S. 320—370).
Die Behandlung der Armenpflege als eines wesentlichen Bestand-
theils der kommunalen Armenpflege ist in Deutschland Jahrhunderte
altes Recht. Die Ausführungen Münsterpere’s 8. 211 ff. rechtfertigen,
dass auch nach Beseitigung der Geschlossenheit der Gemeinde, und
nachdem in Folge der Freizügigkeit gewissermassen das ganze Reich
ein einheitliches Wirtschaftsgebiet geworden ist, die Gemeinde ferner-
hin als Trägerin der Armenlast beibehalten worden ist, und zwar nicht
bloss aus Gründen der Zweckmässigkeit. Es besteht in der That eine
Wechselbeziehung zwischen dem wirthschaftlichen Vortheile, welcher