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auf die politischen Delikte und die blossen Vergehen ausgedehnt ist —
eine Steigerung der Verpflichtungen, welche nur zwischen eng ver-
bundenen Staaten Sinn und Zweck gehabt habe. — Den Werth der
Auslieferungsgesetze erblickt der Verfasser zunächst darin, dass
durch dieselben die Grenze des Rechtes zur Auslieferung und damit
der einem anderen Staat zu machenden Zugeständnisse bestimmt be-
zeichnet und dem Flüchtling das sogenannte Asylrecht erst verbürgt
werde. Solche Gesetze bereiten die Schliessung von Verträgen aufs
wirksamste vor; sie ermöglichen eine feste Gestaltung des Ausliefe-
rungsverfahrens und die Klarstellung des Verhältnisses des Aus-
gelieferten zum ersuchenden Staate. Lammasch verkennt nicht, dass
anderseits das Bestehen solcher Gesetze den schablonenmässigen Ab-
schluss von Verträgen in gewissem Masse erleichtert, und nimmt gegen
den übereilten Plan eines Weltauslieferungsvertrags mit Ent-
schiedenheit Stellung.
Das dritte Buch, betreffend die Delikte, wegen deren Aus-
lieferung stattfindet oder Asyl gewährt wird, unterscheidet
in 3 Abschnitten nicht politische Delikte gegen Rechte der
Individuen, politische Delikte und nicht politische Delikte
gegen die Staatsverwaltung.
Gegenüber der auf bekannten Gründen beruhenden Regel, dass
die Auslieferung grundsätzlich nur wegen schwererer Gesetzesver-
letzungen stattfindet, empfiehlt der Verfasser im ersten Abschnitt
mit Recht eine Ausnahme für den Verkehr benachbarter Staaten.
Dagegen glaubt er sich der in den französischen und italienischen
Gesetzentwürfen vorgeschlagenen Neuerung nicht anschliessen zu
sollen, wonach in den Verträgen nur die von der Auslieferung aus-
genommenen Verbrechensarten (z. B. fahrlässige, mit gewissen ge-
ringen Strafen belegte, militärische Delikte) namhaft gemacht werden
sollen. Dieser Eliminationstheorie soll die jetzige Enumera-
tionstheorie besonders deshalb vorzuziehen sein, weil bei jenem
Verfahren gewisse, auch ohne besonderen Nachweis eines politischen
Charakters zur Auslieferung ungeeignete Handlungen (z. B. Religions-
delikte, Duelle) die Auslieferung begründen müssten. Im Verkehr
von Staaten mit gleicher Kulturstufe und ähnlicher Gesetzgebung
dürfte dieser Grund nicht durchschlagend sein, wenn auch zugegeben
werden muss, dass die in Rede stehenden Ausnahmen von der Aus-
lieferungspflicht mit grosser Vorsicht und nicht zu eng formulirt
werden müssten. An sich würde die Annahme einer grundsätzlich