— 457 —
allgemeinen Auslieferungsverbindlichkeit dem Zwecke des Instituts
nur entsprechen und einen erheblichen Fortschritt bedeuten. Eine
Abhängigkeit von der künftigen auswärtigen Strafgesetzgebung wäre
damit nicht gegeben, sofern der Vertrag, wie natürlich, die gegen-
wärtige Gesetzgebung beider Staaten zur Grundlage nähme. — Aus
dem übrigen Inhalt des Abschnitts sei nur auf die eingehende Er-
örterung darüber hingewiesen, ob ein Staat, der sich einem anderen
gegenüber zur Auslieferung wegen bestimmter Verbrechensarten
verpflichtet hat, berechtigt bleibt, an denselben Staat auch noch
die Thäter anderer, im Vertrage nicht bezeichneter Delikte auszu-
liefern. Von Staaten abgesehen, wo diese Frage sich nach den Aus-
lieferungsgesetzen beantwortet, will der Verfasser unterscheiden zwi-
schen Staaten, die sich vertragsmässig — mit Rücksicht auf die
Kosten — nur zur Auslieferung „wegen 5 oder 6 der allerschwersten
Delikte“ verpflichtet haben, wie meistens die transatlantischen Staaten,
und denjenigen, deren Verträge alle einigermassen erhebliche straf-
bare Handlungen umfassen und bestimmte Delikte weniger wegen
ihrer geringen Wichtigkeit als vielmehr wegen ihrer politischen Be-
deutung (im weitesten Sinne) weglassen. Bei Staaten der ersten Art
wird obige Frage bejaht, bei denen der letzteren verneint, weil die
ungleiche Behandlung der einzelnen Fälle sonst als eine Kritik der
auswärtigen Rechtspflege erscheine. Der Verfasser hebt selbst her-
vor, dass der Verfolgte aus dem begrenzten Inhalte des Vertrags ein
subjektives Asylrecht nicht ableiten könne, und dass aus der Be-
schränkung der Pflicht eine solche des Rechts nicht abgeleitet werden
dürfe. Hieraus ergibt sich aber, dass die Frage, so wie sie gestellt
wird, allgemein zu bejahen ist; auch constitutionelle Bedenken dürften
nicht entgegenstehen, da die Ueberschreitung der Vertragsgrenzen
im einzelnen Fall und selbst ein bezügliches jederzeit kündbares Ver-
waltungsabkommen die Vertragsrechte nicht verändern können. Vom
Zweckmässigkeitsstandpunkte aus ist eine allgemeine Regel kaum
zu geben; der Entwicklung des Auslieferungsinstituts aber wird es
im Allgemeinen förderlich sein, die Vertragsgrenzen nicht zu ängstlich
zu beobachten,
Der zweite, den politischen Delikten gewidmete Abschnitt,
einer der lehrreichsten des Werkes, zeigt an der geschichtlichen Ent-
wicklung des Grundsatzes der Nichtauslieferung politischer Verbrecher,
wie erst die Beschränkung der Auslieferung auf gemeine Delikte die
Ausbildung dieses Instituts ermöglicht hat, indem sie die Gefahr be-
Archiv für öffentliches Recht. III. 2. 3. 30