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Durchführung der Voruntersuchung erlassenen förmlichen, die Ver-
dachtsmomente hervorhebenden Beschluss über die Versetzung in An-
klagezustand verlangt, so steht dem wohl nicht nur die von LammascH
selbst hervorgehobene Schwierigkeit der Verschiedenheit der Process-
gesetzgebungen, sondern das allgemeine Bedenken entgegen, dass die
Durchführung der Voruntersuchung nicht selten nur gegenüber dem
anwesenden Beschuldigten möglich ist.
Das englisch-amerikanische System führt naturgemäss dahin, die
Prüfung des Beweismaterials und damit den wichtigsten Theil der
Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen der Auslieferung ge-
geben sind, den Gerichten zu überweisen und das bezügliche Ver-
fahren nach den Grundsätzen des sonstigen gerichtlichen Verfahrens
— Oeffentlichkeit, Parteienrechte, Instanzenzug — zu gestalten. Da-
gegen schliesst das früher sogenannte französische, von LammascH als
das preussische bezeichnete System solche Garantien aus und legt die
Entscheidung in die Hände des Souveräns oder der obersten Verwal-
tungsbehörden. In Preussen findet die Prüfung der Angelegenheit
durch die Provinzial-Verwaltungsbehörde und die Staatsanw altschaft
statt; vor letzterer erfolgt das dem älteren französischen System an-
scheinend nicht bekannte Verhör des Verfolgten, die Haft des Letzteren
gilt nicht als Untersuchungshaft. — Lammasch entscheidet sich prin-
eipiell für die Uebertragung der Entscheidung an die Gerichte, weil
dieselbe ein Akt der Rechtspflege sei — eine weitere Consequenz
der zum ersten Buche besprochenen Grundanschauung des Verfassers
über das Wesen der Auslieferung, welche übrigens kaum zwingend
ist, da „Rechtspflege“ auch von anderen Organen als den ordentlichen
Gerichten, insbesondere von der Justizverwaltung, geübt wird. Der
weitere Grund, dass die Auslieferung einen nur im Wege gerichtlichen
Einschreitens zulässigen Eingriff in die Freiheit des Individuums aus-
mache, dürfte eine petitio principii enthalten, abgesehen davon, dass
der Zweck der Auslieferung ja gerade dahin geht, den Verfolgten
seinem natürlichen Richter zuzuführen. Ein gewisses Gewicht hat
dagegen die praktische Erwägung, dass die bei der Entscheidung zu
lösenden Fragen solche seien, welche auch sonst in Strafprocessen zur
Prüfung gelangten, oder Fragen über den Bestand von Rechtssätzen —,
sofern wenigstens den Verfolgten gewisse Parteienrechte eingeräumt
werden sollen und ihm die Befugniss eingeräumt werden will, die
Beweisfrage in bestimmtem Masse anzuregen. Immerhin würden diese
Gesichtspunkte nur dahin führen, die Gerichte mit der Instruirung