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gegenüber der Justizhoheit des requirirenden Staats und
damit vor Allem den Grundsatz der Specialität der Auslieferung,
wonach die Verfolgung des Ausgelieferten grundsätzlich auf diejenige
That beschränkt ist, wegen deren die Auslieferung nachgesucht wurde.
Frankreich und Grossbritannien halten an diesem Grundsatz unbedingt
fest, die Verträge des Deutschen Reichs nur insofern, als wegen einer
andern That, die nicht unter die Auslieferungsdelikte fällt, Bestrafung
ausgeschlossen ist. Lammasch stellt sich die Frage, ob das in der
Beschränkung der Auslieferungsverträge und Praxis auf bestimmte
und nicht politische Delikte, sowie in dem beschränkten Zwecke der
Auslieferung wohl begründete Princip, vorbehaltlich der besonderen
Behandlung der politischen Vergehen, nicht zweckmässig allgemein
aufzugeben wäre, wie dies im einzelnen Falle im Interesse der
Rechtspflege vielfach geschieht. Er verneint dies jedoch mit Recht,
weil selbst bezüglich der im Auslieferungsvertrag enthaltenen Delikte
die häufig so verwickelte und von dem Rechte des Zufluchtsstaates
mitbestimmte Frage der Zulässigkeit der Auslieferung nur unter der
Gefahr internationaler Verwicklungen dem einseitigen Urtheil des
nachsuchenden Staates überlassen werden kann, und der Ausschluss
der übrigen Delikte durchaus nicht immer auf deren Geringfügigkeit,
sondern vielfach auf anderen das Interesse des Zufluchtsstaates be-
rührenden Erwägungen beruht. Die Rücksicht auf die Beschleunigung
des Verfahrens kann nur dahin führen, das in den Verträgen zu weit
gefasste Verbot mit Lammasch auf das contradietorische Verfahren,
die Erhebung der Anklage und die Anordnung der Hauptverhandlung
zu beschränken, dagegen sonstige Untersuchungshandlungen zuzulassen.
— Dem ausdrücklichen Wunsche des Ausgelieferten um Ausdeh-
nung der Verfolgung auf andere Delikte soll nach LammascHh aus
praktischen Gründen und in der Erwägung entsprochen werden, dass
derselbe, auch wenn er Inländer sei(?), im Fall der Freisprechung
wegen des die Auslieferung veranlassenden Delikts sofort ausgewiesen
werden dürfe; doch soll die Rücksicht auf den ausliefernden Staat
dadurch gewahrt werden, dass die wegen anderer Handlungen ver-
hängten Strafen nicht vollzogen, sondern die Thäter nur demnächst
ausgewiesen würden. Richtiger dürfte es sein, in dieser dem öffent-
lichen Recht angehörigen Frage und gegenüber der eingegangenen
internationalen Verpflichtung, welche für die Gerichte Gesetzeskraft
hat und dem Legalitätsprincip derogirt, dem Willen des Verfolgten
einen Einfluss überhaupt nicht zu verstatten. — Beifall verdient