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nämlich verlangt, dass der Einzelne, über welchen verfügt wird,
dem Staate bis dahin in einer gewissen Unabhängigkeit gegen-
überstehe; er muss nach dem Ausdruck von |CHMITTHENNER,
welchen LABann aus halber Vergessenheit hervorzog, um ihn als
Stammvater der wahren Vertragslehre anzuerkennen, „der Staats-
gewalt gar nicht oder doch, wie selbst eigene Unterihanen, in
dem festzuhaltenden Verhältniss nicht unterworfen sein“ 6%).
Diese Voraussetzung findet man, gleichfalls nach dem Vor-
gange SCHMITTHENNER’S, vor Allem gegeben in der Naturalisation
und in der Beamtenernennung; dies sind daher die zwei Haupt-
anwendungsfälle des Vertragsbegriffes.
Der ganze Gedankengang zeigt sich sofort auf’s deutlichste
an der Behandlung des Naturalisationsaktes unseres Staats-
angehörigkeitsgesetzes.
Die Verleihung der Staatsangehörigkeit durch Entscheidung
der Behörde hätte äusserlich betrachtet nichts sehr Ermuthigen-
des für die Annahme eines Vertrages; was sie in dieses Licht
setzen soll, ist nur die innerliche Bedeutung des Vorganges. Ein
Ausländer trıtt durch den Akt in den Staatsverband ein; vorher
also war dieser Mensch unserer Staatsgewalt nicht unterworfen,
er stand unserem Staate fremd und selbständig gegenüber. Jetzt
wird mit ihm das pactum receptionis geschlossen, welches nichts
anderes ist als eine Einzelvornahme des grossen pactum subjec-
tionis, das die alte Unterthanenschaft unter dieser Staatsgewalt
schon vereinigt hat; oder, wie man es dem neueren Greschmack
entsprechender ausdrückt, es geht etwas vor wie eine civilrecht-
liche Adoption: die bisher gleichberechtigten Rechtssubjecte
einigen ihren selbständigen Willen dahin, dass nunmehr das
64) Staatsrecht, S. 315, 316. Es scheint mir demnach der Verdacht
unbegründet zu sein, welchen G. MEYER (in Annalen 1878, $. 384) gegen
LABAND ausspricht, dass derselbe den Vertragsbegriff auf alle Verwaltungs-
akte anwenden wolle, bei welchen eine Einwilligung erforderlich ist.