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Aus dem Zusammenhalte der Sätze, dass einerseits der
Einzelne gegen jeden gesetzwidrigen Eingriff in seine individuelle
Willens- oder Interessensphäre den Schutz des Richters geniessen
muss, dass aber andererseits die Verwaltungsklage durch die Ver-
letzung eines subjectiven Rechts bedingt ist, ergibt sich nun die
Nöthigung zu der Annahme einer Kategorie von öffentlichen
Individualrechten, für welche das objectiv-rechtliche Fundament
nur schwer gefunden werden kann. Jedes subjective Recht schöpft
seine Kraft aus einem Rechtssatz. Vergebens wird man aber in
der positiven Gesetzgebung nach Rechtssätzen suchen, aus welchen
jene Fülle subjectiver Rechte hergeleitet werden könnte, deren
es bedarf, sofern jeder gesetzwidrige Eingriff der Verwaltung in
die Sphäre des Einzelnen als Verletzung eines subjectiven Rechtes
erscheinen sol. Nur eine Handhabe ist geboten und zu ihr
wurde denn auch gegriffen.
Es wird argumentirt: jene Rechtssätze, welche die Ermäch-
tigungen für die Verwaltung normiıen, enthalten zugleich die
Schranken dieser Ermächtigungen, jeder derselben fifdet seine
nothwendige Ergänzung in dem — in dieser Allgemeimheit freilich
nirgends ausgesprochenen — Rechtssatz, dass über diese Grenze
hinaus Eingriffe in die individuelle Willenssphäre unzulässig sind.
Darum sind es auch eben diese die Befugnisse der Ver-
waltung umschreibenden Rechtssätze, welche zugleich korre-
spondirende subjective Rechte der Einzelnen begründen, in_der
Weise, dass die Ermächtigung, .der Verwaltung und das Recht
des Einzelnen einander wechselseitig begrenzen, und jeder Ueber-
Staatsr. II S. 439; ULsricHh, Ueber öffentl, R. u. Verwaltungsgerichtsbarkeit
S. 25 und Staatsr. d. österr.-ung. Mon. S. 713; Garzıs, Allgem. Staatsr. in
Marquardsens Handbuch S. 87, und Encyklopädie S. 25; Schmmt, Grundl.
d. Verwaltungsrechtspflege S. 64 ff.; andererseits: Lönne in Schmollers Jahrb.
V 365, und Lehrbuch des deutschen Verw.-R. S. 11 ff.; HERMANN SCHULZE,
Preuss. Staatsr. I S. 377 ff. und II S. 860 ff.; Frh. v. STEneEL in Hirths
Annalen 1876 S. 910 ff. Lehrb. des deutschen Verw.-R. S. 32 und Organ. d.
preuss. Verw. 8. 37 u. 488 f£.). — Nach L. v. Stem erscheint ein Recht des
Einzelnen überall verletzt, wo die Nichtübereinstimmung der Verfügung mit
dem Gesetz oder der Verordnung eine „formelle“ ist, ein Interesse, wenn die
Verfügung mit dem Geist der Gesetze oder Verordnungen nicht in Harmonie
steht; in ersterem Falle tritt das Klagerecht, in letzterem das Beschwerde-
recht ein (Verwaltungslehre I S. 371 f. u. 383 f.).
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