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moment in ihm ist bloss virtuell; actuell wird es vor Allem in jenem
Acte des Berechtigten, mit welchem derselbe den seinem Willen zur
Seite tretenden gesetzlichen Imperativ einem Dritten gegenüber
thatsächlich wirksam zu machen beabsichtigt, in dem Erheben
des Anspruches?®). Was mit dem subjectiven Rechte sonst
noch gewährt ist: ein geschütztes Interesse, der gesicherte Genuss
eines Gutes, die Befugniss zur Vornahme von Handlungen, all
eingeräumt, dass in dieser Herrschaft des individuellen Willens nicht etwas
den subjectiven Privatrechten Eigenthümliches erblickt werden kann.
29) Vgl. Tuon, Rechtsnorm und subjectives Recht S. 223 fl. Wenn oben
die von Taon gewählte Bezeichnung „Anspruch“ beibehalten wird, so ist
das Wort doch nicht durchaus in dem Sinne genommen, in welchem es
Tuon versteht. Nach der Auffassung Thon’s ist der Anspruch nur für den
Fall der Normverletzung gegeben, und er ist identisch mit dem von der
Rechtsordnung dem Einzelnen gewährten und zum beliebigen Gebrauche über-
lassenen Mittel zur Beseitigung der Normwidrigkeit (S. 133). Diese Auf-
fassung ist meines Erachtens zu eng; der Anspruch ist nicht in allen
Fällen durch Normverletzung seitens des Verpflichteten bedingt, und er geht
darum auch nicht immer auf Beseitigung der Normwidrigkeit; ein Anspruch
wird immer erhoben, wenn durch einen Willensact von der durch das sub-
jective Recht gewährten Herrschaft zum Zwecke der Unterordnung des Willens
eines Dritten Gebrauch zu machen beabsichtigt wird. Besonders wichtige Fälle
der Ansprucherhebung ohne vorangegangene Normverletzung werden weiter
unten aus dem Gebiete des öffentlichen Rechtes vorgeführt werden. Das
zweite, was gegen THoN erinnert werden muss, ist, dass der Anspruch nicht
als etwas für die Privatrechte Charakteristisches angesehen werden kann.
Tnon kennt freilich neben dem Privatanspruch auch einen öffentlich-recht-
lichen Anspruch, allein dieser ist so, wie THox ihn definirt („ein öffentlich-
rechtlicher Anspruch liegt immer vor, wenn im Falle der Normverletzung
ein staatliches Organ das Recht und die Pflicht hat, von Amtswegen einzu-
schreiten“) thatsächlich kein Anspruch. Tuon lässt eben vollständig un-
beachtet, dass seit Schaffung der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch im Gebiete
des öffentlichen Rechtes in vielen Fällen dem Einzelnen „ein Mittel zur
Beseitigung der Normwidrigkeit von der Rechtsordnung gegeben und zu
beliebigem Gebrauche überlassen wird“. Wohl spricht er (S. 142) von einem
Rechte des Einzelnen wider den Staat und von einem Anspruche desselben
im Falle der Normverletzung. Die Identität dieses Anspruches mit dem von
ihm als Privatanspruch bezeichneten erkennt aber Tuon nicht an, ohne
Zweifel darum, weil er nur das Rechtsmittel der Beschwerde an die höhere
Verwaltungsbehörde vor Augen hat, Damit gerathen im Grunde alle Aus-
führungen Tnon’s über den Unterschied von priyaten und öffentlichen Rechten
in’s Wanken.