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nisation zur Gesammteinheit begrifflich Verschiedenes gibt es ein-
fach nicht; und jede Vorstellung eines solchen, thatsächlich nicht
vorhandenen Etwas ist eben eine Fiktion. Diese Fiktion ist aber
nicht nur als solche verwerflich, sondern vor allem desshalb, weil
sie die gedankliche Erfassung und Konstruktion der zwischen
dem Reich und seinen Gliedstaaten bestehenden publicistischen
Rechtsverhältnisse — und darauf kommt es doch gerade an —
nicht erleichtert, sondern vielmehr geradezu unmöglich macht.
LABAND sagt: „Wenn man sich die Gliedstaaten als Theile des
Bundesstaats vorstellt, dann abstrahirt man von ihrer Eigenschaft
als Subjekte; wenn man sie sich aber dem Bundesstaat gegenüber
als berechtigte und verpflichtete Subjekte vorstellt, dann abstrahirt
man von ihrer Eigenschaft als Theile desselben.“ Die beiden
Theile dieses Satzes heben sich gegenseitig auf. Denn die Vor-
stellung der Gliedstaaten als Theile des Bundesstaates besteht
— sofern sie eine juristische ist — doch eben darin, dass die
Gliedstaaten als Theile Rechte und Pflichten gegenüber dem Reiche
haben d. h. aber, dass sie Subjekte sind. Eine juristische Be-
trachtung der Gliedstaaten kann niemals davon abstrahiren, dass
sie Subjekte sind; denn ohne diese Eigenschaft wären sie’eben keine
Rechtsträger, könnten sie in keinem Rechts- und Pflichtverhältnisse
zum Reiche stehen. Bei Erfassung dieser Rechts- und Pflicht-
verhältnisse wiederum kann man nicht von der Eigenschaft der
Gliedstaaten als Theile des Reichs abstrahiren; denn der begriffliche
Unterschied dieser Rechtsverhältnisse von denjenigen, welche sonst
zwischen verschiedenen, von einander unabhängigen Staaten be-
stehen, beruht einzig und allein darauf, dass die Gliedstaaten Theile
des Reiches sind. Wenn z. B. Art. 2 R.-V. bestimmt, dass die
Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen, so ist diese für das
ganze Verhältniss grundlegende Bestimmung vom individualistischen
Standpunkte aus einfach unkonstruirbar. Denn in dieser Bestimmung
kommt das Prineip der Herrschaft, der Ueberordnung eines
Willens über den andern, zum Ausdruck ; und dieses Princip ist ein
Archiv für öffentliches Recht. IV. 1. 7