98 —
specifisch publicistisches oder besser organisch-socialrechtliches, für
welches innerhalb des Individualrechts absolut kein Raum ist.
LABAND selbst gibt dies zu, indem er sagt®*): „Das Privatrecht
kennt eine Herrschaft nur über Sachen®®),.... freien Personen
gegenüber kennt es nur Forderungen, welche kein Zwangsrecht
gegen den Schuldner enthalten, und die nicht die Rechtsmacht in
sich schliessen, ihm etwas zu befehlen.“ Da er jedoch für die
Persönlichkeit des Staates die individualistische Anschauung fest-
hält, so vermag er diesen Wesensunterschied zwischen Individual-
und Sozialrecht nicht zu erklären; sondern muss sich mit der
blossen Konstatirung der Thatsache begnügen. Den Grund dafür,
dass das Individualrecht den Begriff der Herrschaft, welcher das
ganze Sozialrecht erfüllt, nicht kennt, vermag man nur in dem
oben entwickelten Wesen des Organischen, als der Grundlage
alles öffentlichen Rechts, zu finden. Bei der individualistischen
Anschauung, welche die Willenseinheiten (Personen) als begrifflich
verschieden und unabhängig rein äusserlich neben einander stellt,
kann eben desshalb von einer Ueber- und Unterordnung dieser
Willenseinheiten keine Rede sein. Eine solche entsteht erst, wenn
man die Persönlichkeiten nicht als unorganisch neben einander,
sondern als organisch in und über einander stehend betrachtet;
wenn man die einen als Gliedpersonen, als organische Theile
einer höheren Gesammtperson auffasst. Dann erscheint die Unter-
ordnung des Theilwillens unter den aus der Gesammtheit der
Theilwillen organisch sich zusammensetzenden Gemeinwillen nur
als eine Anwendung des allgemeinen Naturgesetzes, nach welchem
der Gliedorganismus in allen seinen Lebensregungen dem Leben
des ihn umschliessenden Gesammtorganismus untergeordnet ist.
*) a.2. 0. 8.64; vgl. auch die dort n. 2 citirten Arbeiten Sonm’s
und Rosm’s.
85) Die dinglichen Rechte sind nicht eigentlich als Herrschaft zu be-
zeichnen; denn von der Ueberordnung eines Willens über einen andern, was
für den Begriff der Herrschaft wesentlich ist, kann dabei offenbar nicht die
Rede sein. — Anderer Meinung Rosm in Hirth’s Annalen 1883, S. 298.