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Die höchste Aeusserung staatlichen Willens ist die staatliche
Gesetzgebung. Weil der Willen der Gliedstaatsperson als Theil-
willen dem ihn umschliessenden Gemeinwillen der Gesammtperson
des Reiches eingegliedert und untergeordnet ist, desshalb und
nur desshalb geht die Reichsgesetzgebung der Landesgesetzgebung
vor. So erklärt sich überhaupt die Herrschaft des Reiches über
die Einzelstaaten, welche doch LapBAnD selbst als punctum
saliens dieses ganzen publicistischen Rechtsgebietes betrachtet.
In geradem Gegensatz zu seiner individualistischen Anschauung
darf man daher die Vorstellung der Gliedstaaten als Personen
und als Theile des Reichs nicht von einander trennen; vielmehr
erscheinen sie als Theile des Reichs juristisch insofern, als sie
gegenüber demselben Rechte und Pflichten haben, d. h. Personen
sind; und die ihnen eigenthümliche Persönlichkeit erklärt sich
nur daraus, dass sie Theilpersonen der Gesammtperson Reich
sind®®). Diese beiden einander bedingenden Seiten ihres Wesens,
welche die individualistische Betrachtung auseinander reissen muss,
vermag nur die organische Anschauung der Staatspersönlichkeit
in einen Gesammtbegriff zusammenzufassen. Wie sie jegliches
Gemeinwesen als die aus der Gesammtheit der Gliedpersonen
bestehende Gesammtperson erkennt, ohne sich die Personen der
organischen Theile als solche „wegdenken“ zu müssen, so erkennt
sie die Persönlichkeit des Reiches als die aus Partikeln einzelstaat-
lichen Willens organisch gebildete Willenseinheit, ohne dass sie
bei dieser Vorstellung von der Persönlichkeit der Gliedstaaten
„abstrahiren“ müsste oder dürfte. Und wie die Rechts- und Pflicht-
verhältnisse zwischen Individuen und Gemeinde auf der Eigen-
schaft der ersteren als Theile der letzteren beruhen, so die zwischen
Gliedstaaten und Reich auf derselben Eigenschaft.
Nach alledem vermögen auch diese neuesten Ausführungen
LasBanp’s nicht die Lehre GIERKE’s zu entkräften, welche die
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86) Ebenso wie LaABAnD steht der GIERKE’schen Personentheorie gegen-
über: STÖBER im Archiv für öffentliches Recht Bd. I, Heft 4, S. 685.
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