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Die drei bei Klein vorgefundenen Briefe bildeten nur eine Beweisthatsache
für diese Beschuldigung, eine Beweisthatsache allerdings von besonderer
Wichtigkeit, weil aus Form und Inhalt derselben die dauernde fortlaufende
Verbindung des Schnäbele mit den in Deutschland angestellten Spionen klar
und deutlich hervorging. Der Herr Verfasser fragt somit ganz richtig:
„Mais comment qualifier d’espion, celui qui n’emploie aucun stratag&me, qui
ne revet aucun deguisement, qui ne penätre pas chez l’adversaire et demeure
& son foyer, l& oü ces actes sont innocents?* Er übersieht aber, dass es
Niemand in Deutschland eingefallen ist, eine so unschuldige Person strafge-
richtlich zu verfolgen; wie hätte er auch sonst die zahlreichen an die Adresse
des deutschen Reichs gerichteten Vorwürfe wegen angeblich völkerrechtwid-
rigen Handelns anbringen können ?
Da die Voraussetzungen, von welchen ausgegangen wird, irrthümlich
und unrichtig sind, so verlieren auch die Schlussfolgerungen, welche daran
geknüpft werden und die damit verbundenen weiteren Ausführungen für den
konkreten Fall jeden Werth. Nur ein Argument bedarf noch der Erwähnung.
Der Verfasser führt aus, dass nach den Grundsätzen des Kriegsrechts ein
Spion, dem es gelungen ist, aus dem feindlichen Gebiete zu entkommen,
und der erst später in die Hände des Feindes fällt, wegen seiner früheren
Handlungen strafrechtlich nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden
könne; was für Kriegszeiten massgebend sei, müsse aber in verstärktem
Masse in Friedenszeiten gelten. Auch diese Folgerung ist unzutreffend. Zu-
nächst handelte es sich im vorliegenden Fall nicht um ein dem deut-
schen Rechte unbekanntes Special-Delikt der Spionage, sondern um das Ver-
brechen des Landesverraths. Dieses Verbrechen unterliegt den allgemeinen
Grundsätzen des Strafrechts, welchen nach dem positiven Rechte Deutsch-
lands wie Frankreichs ein derartiger Strafaufhebungsgrund fremd ist. Eben-
sowenig kann aber auch de lege ferenda die erwähnte Ansicht gebilligt wer-
den. Was als Kriegs-Spionage bestraft wird, sind ihrer strafrechtlichen
Natur nach häufig nur vorbereitende Handlungen, wie das Einschleichen
in fremde Festungen, die Aufnahme von Plänen, das Nachforschen nach
fremden Geheimnissen. Ob der Spion seinen Zweck erreicht, ob er wirklich
etwas ermittelt und seine Ermittlungen dem Auftraggeber mitgetheilt hat,
ist für den Thatbestand der Spionage unerheblich. Nicht nur der Verrath,
sondern schon die Gefahr des Verraths ist hier mit schwerer Strafe bedroht
und entspricht es einer humanen Weltanschauung, diese Härte dadurch zu
mildern, dass nur der auf der That ertappte Spion wirklich bestraft wird. Als
Landesverrath gelangt dagegen nur der versuchte oder schon ausgeführte
Verrath zur Bestrafung. Vergebens fragt man sich, warum derjenige, der ein
Land, dessen Schutz er genoss, im Frieden verrathen hat, um desswillen straf-
frei ausgehen soll, weil er sich der sofortigen Bestrafung durch die Flucht
zu entziehen wusste?