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Öffenses et Actes hostiles, commis par des Particuliers contre
Un Etat Etranger par Edouard Clunet. Paris 1887.
Das französische Strafrecht stellt wie das deutsche nur die Beleidigung
fremder Staatsoberhäupter, nicht auch die Beleidigung fremder Staaten unter
Strafe; dasselbe kennt sogar nicht eine dem $ 103 a des deutschen Straf-
gesetzbuchs (Beschädigung etc. etc. von Hoheitszeichen eines nicht zum
deutschen Reiche gehörenden Staats) entsprechende Bestimmung. In dieser
Thatsache erblickt der Verfasser eine Lücke des modernen Strafrechts. Alle
Staaten, so führt er aus, sind nothwendig Glieder einer grossen internatio-
nalen Gemeinschaft, von welcher kein Staat sich völlig lostrennen kann. Die
Bedürfnisse der einzelnen Staaten, die zur Verwirklichung ihrer Lebensauf-
gaben dienenden Bestrebungen zwingen sie, mit anderen Völkern in Ver-
bindung zu treten. Ist aber diese Gemeinschaft eine nothwendige und un-
entbehrliche, dann ist auch die Nothwendigkeit eines gegenseitigen Schutzes
erwiesen, der um so ausgedehnter sich gestalten muss, je enger die Gemein-
schaft wird. Demgemäss stellt der Verfasser im Anschluss an CALvo und
PaiLimorE die Forderung auf, dass der Staat sich nicht darauf beschränken
dürfe, den Frieden unter seinen Angehörigen zu wahren, sondern dass er
auch darüber wachen solle, dass diejenigen, welche unter seine Autorität ge-
stellt sind, nicht fremde Staaten und ihre Regierungen grundlos angreifen
und schmähen. „L’offense contre un e&tat etranger doit ätre interdite au
me&me titre et pour les m&ömes motifs rationnels que l’offense envers un
national ou un Etranger .. . .“
Der Art. 84 c. pen., von welchem der Verfasser eine eingehende Ana-
lyse giebt und welcher lautet: „Quiconque aura, par des actions hostiles non
approuvees par le Gouvernement, expose l’Etat & une declaration de guerre,
sera puni du bannissement, et si la guerre s’en est suivie, de la deportation“,
ist nicht geeignet, jene Lücke auch nur theilweise auszufüllen. Vor Allem
geht die strafrechtliche Tendenz des Artikels nicht auf den Schutz fremder,
sondern des eigenen Staatswesens. Ausserdem ist aber diese Vorschrift,
welche in keinen neueren Strafeodex übergegangen ist, ein todter Buchstabe
ohne praktische Bedeutung, weil die Voraussetzung, auf der sie beruht, dass
nämlich die Handlung eines Privaten zum Bestimmungsgrund eines Krieges
werde, mit den Grundsätzen des Völkerrechts, welche es nicht gestatten, den
Staat für die Handlungen eines Einzelnen verantwortlich zu machen, im
Widerspruch steht. Es ist bekannt, dass die französische Regierung noch
in neuester Zeit den Versuch machte, den fraglichen Art. gegen den Haupt-
Redakteur der in Paris erscheinenden Zeitung „La Revanche“ Namens
Rigondaud (Peyramont), welcher am 22. Februar 1887 eine von fran-
zösischen und russischen Fahnen umrahmte Tafel mit der Inschrift: „Elections
d’Alsace-Lorraine — Candidats francais 72680 voix. — Candidats alle-
mands 16 022 voix. — Tous les protestataires elus. — Vive la France!* —
vor dem Redaktionsbureau hatte aushängen lassen, zur Anwendung zu bringen.