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Dr. Ernst Radnitzky, Die Parteiwillkür im öffentlichen Recht.
Wien, Manz 1888. 92 S.
Ein hochinteressantes Thema wird in der vorliegenden Schrift unseres
Wissens zum erstenmale einer speziellen Bearbeitung unterzogen. Der Ver-
fasser entledigt sich dieser Aufgabe in der Weise, dass er vorerst in einem
einleitenden Abschnitte (S. 1—19) den Begriff der Parteiwillkür und ihre
Bedeutung im Öffentlichen Rechte darzulegen sucht und sodann in zwei
weiteren Abschnitten die einzelnen Fälle hervorhebt, in welchen einerseits
im Gebiete des Verfassungsrechts (S. 19—41), andererseits im Gebiete des
Verwaltungsrechtes (S. 42—92) der Parteiwillkür ausnahmsweise rechtser-
zeugende Kraft zuerkannt wird.
Vorerst ist zu constatiren, dass sich die Untersuchungen des Verfassers
auf das Gebiet des materiellen Rechtes beschränken, dass sohin — wie
auch am Schlusse des Werkes ausdrücklich hervorgehoben wird — aus dem
Kreise der Darstellung alle jene Formen der Parteiwillkür ausgeschieden
wurden, welche im Verwaltungsprozesse zu Tage treten. Nun ist aber
billig zu bezweifeln, dass sich überhaupt eine gedeihliche Lösung der an-
geregten Frage vom Standpunkte des materiellen Rechtes allein denken lässt;
uns scheint im Gegentheile der Schwerpunkt der Frage im formellen Rechte
gesucht werden zu müssen oder zum mindesten ein solcher Zusammenhang
der diesbezüglichen materiell-rechtlichen und der prozessualen Vorschriften
zu bestehen, dass die ersteren für sich allein eine verlässliche Grundlage
dogmatischer Forschung zu bieten nicht geeignet sind. Auch glauben wir,
dass eine Heranziehung der einschlägigen Lehren des Strafrechtes, insbesondere
der Lehre vom staatlichen Klagsmonopol, zur Förderung der in Rede
stehenden Untersuchungen gewiss erheblich beigetragen hätte.
Im Einzelnen zeugt vorliegende Arbeit immerhin von nicht unbe-
deutendem Fleisse und Begabung ihres Urhebers. Man darf eben bei Be-
urtheilung derselben nicht ausser Acht lassen, dass es sich um den ersten
Versuch der Bearbeitung eines der schwierigsten Probleme des Öffentlichen
Rechtes handelt, für welche die Kräfte eines „literarischen Neulings“, als
welchen sich der Verfasser einführt, unmöglich ausreichen können. Gilt es
ja doch hiebei zu einer grossen Anzahl von Fragen Stellung zu nehmen, deren
jede für sich allein eingehende Detailstudien und einen nicht geringen Auf-
wand an Scharfsinn behufs Durchdringung des sich massenhaft aufthürmenden
Materiales erfordert.
Dies gilt insbesondere schon von dem Inhalte des ersten Abschnittes,
in welchem der Verfasser das Verhältniss der Parteiwillkür zur Dispositiv-
norm erörtert, wobei er die erstere als eine „bleibende und wesentliche Rechts-
erscheinung“* erklärt, zu welcher die Dispositivnorm als die „schwankende,
unwesentliche Rechtserscheinung* nur zufällig hinzutrete Nicht genügend
durchdacht erscheinen hier insbesondere die auf S. 15 ff. enthaltenen Aus-
führungen über das Öffentliche Vermögensrecht, welches nach Ansicht des