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Anton Menger, o. ö. Prof. der Rechte an der Wiener Universität, Das
Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstel-
lung. Stuttgart, Cotta SS. X und 171.
Ein Vertreter der, wenn ich so sagen darf, „exakten Rechtswissenschaft“,
der hervorragende Lehrer des Processrechts an der Wiener Hochschule weist
uns in seiner kurzen aber gehaltvollen Arbeit einen wissenschaftlich neuen
Weg, um die steile Höhe, auf der wir die heissersehnten Lösungen des
sozialen Problems vermuthen, wenn auch nicht gleich zu erreichen, so doch
in die Sehweite zu bekommen, von welcher aus ergiebige, sachliche Beob-
achtung möglich wird; mehr zu erhoffen als das, was sich auf dem Boden
der realen Verhältnisse verwirklichen, nach gewissenhafter Prüfung als mit
der innern Natur des Kulturstaates vereinbar erkennen lässt, davor bewahrt
uns in dem vorliegenden Buche der sachlich-kritische Geist des gelehrten
Vertassers, der uns hier auch zum überzeugten Anhänger seiner andern Lehre
werden lässt, dass erst dann, wenn die socialistischen Ideen unserer Tage
aus den endlosen volkswirthschaftlichen und philanthropischen Erörterungen,
welche in der That bis zur Stunde den Hauptinhalt der einschlägigen litte-
rarischen Erscheinungen bilden, losgeschält und in nüchterne Rechtsbegriffe
verwandelt sind, erst dann werden die praktischen Staatsmänner zu erkennen
im Stande sein, wie weit die geltende Rechtsordnung im Interesse der lei-
denden Volksklassen umzubilden ist, Zu dem Zwecke gibt MEnGER in
erstaunlicher Fülle eine „Nachlese“, richtiger eine an vielen Punkten zum
ersten Male entwickelte quellenmässige Darstellung des Rechts auf den vollen
Arbeitsertrag, auf Existenz und auf Arbeit d. i. der „drei socialisti-
schen Grundrechte“ unter vorwiegender Heraushebung des ersten, in welchem
er den Kern des zur Zeit um die Verwirklichung kämpfenden socialistischen
Systems erblickt. Dabei macht sich die methodische Sicherheit des an
systematische Geedankenarbeit gewohnten exakten Juristen Schritt für Schritt
fühlbar gegenüber den oft krausen Linien der zur Darstellung gebrachten
6konomischen Haupt- und Nebenlehren.
Die deutsche Rechtsphilosophie, die Wortführer der socialen Reform:
Marıo, RopDBERTUS, Marx, EngELs, LAssaLLe, die zeitlich originellsten und
originären Führer des englischen und französischen Socialismus werden im
Einzelnen auf den juristischen Werthgehalt ihrer dargestellten Theorien
untersucht unter innerlicher Verarbeitung des dargebotenen Stoffes. Es
leuchtet ein, dass die vom Verfasser bald in voller, bald in geminderter
Deutlichkeit herausgehobenen Resultate sich vielfach mit der Auffassung
kreuzen, welche in den vom modernen Staate in den verschiedensten F‘or-
men gebotenen Surrogaten: der Armenpflege, der Kranken- und Unfallunter-
stützung, der Alters- und Invaliditätsrente nichts anderes erblickt als nach-
träglichen Ersatz für zu wenig gezahlten Arbeitslohn. Das Facit insbesondere,
welches MENGER in seinen mit parteiloser Ruhe geschriebenen Schlussbemer-
kungen zieht, muss nur ermuthigen, den von scharfsinniger Seite eingeschla-