— 404 —
2. Schon L. v. Stein?!) hat mit Recht darauf aufmerksam
gemacht, dass das Wort „Selbstverwaltung“ verhältnissmässig
jungen Datums ist. Und so habe ich denn in der STEIN-HARDEN-
BERG’schen Gesetzgebung, insbesondere in der vielgenannten und
vielgerühmten preussischen Städte-Ordnung von 1808, welche all-
gemein und mit Fug als die Grundlage aller heutigen Selbstver-
waltung in Preussen und Deutschland bezeichnet wird, dieses
Wort zu finden mich vergeblich bemüht.
Studium der einschlägigen Fragen stützt. — Vielleicht ist es mir, sofern
meine anderweite amtliche Thätigkeit dies erlauben sollte, über kurz oder
lang vergönnt, den Beweis für die Richtigkeit des obigen Satzes in ein-
gehender Darstellung zu erbringen.
Für jetzt muss ich mich darauf beschränken, zu behaupten, dass es
nach meiner Ansicht gar nicht möglich ist, zu klaren juristischen Begriffen
anders zu gelangen, als indem man dieselben an der Hand des positiven
Rechts — sei es eines oder mehrerer — construirt, und dass selbst die-
jenigen Rechtsphilosophen, welche das positive Recht vollständig ignoriren
zu können glauben, im Grunde genommen doch mehr oder weniger mit
Anschauungen und Begriffen operiren, welche sie bewusst oder unbewusst
dem positiven Recht entnommen haben.
Wenn demgegenüber z.B. Krause (System der Rechtsphilosophie ;
Leipzig 1874) — auf dessen Anschauungen auch noch die neuere Darstellung
von AHRENS (in v. HOLTZENDORFF’s Encyclopädie der Rechtswissenschaft 1. Thl.,
8. Aufl. insbes. S. 35) sich stützt — S.19 u.a. O. den Satz aufstellt, „dass
die Betrachtung des in den Staaten verwirklichten Rechts nicht zu der
philosophischen Begründung des Rechts führen kann“, und diesen Satz u. A.
damit begründet, dass die philosophische Erkenntniss überhaupt kein ver-
mitteltes Vernehmen, keine Abstraktion aus irgend etwas ge-
schichtlich Gegebenem sei, so behaupte ich demgegenüber, für die
Rechtswissenschaft, dass alle philosophische Erkenntniss des Rechts in ihrem
letzten Grunde auf das positive Recht und dessen geschichtliche Ent-
wicklung zurückgeführt und aus demselben abgeleitet werden muss. —
Auf eine nähere Begründung dieses Satzes muss ich hier verzichten;
ich kann nur, um meine Ansicht zu verdeutlichen, ein Bild gebrauchen: eine
Jurisprudenz, die, unbekümmert um die Vorschriften des positiven Rechts,
Begriffe entwickelt und Construktionen aufstellt, schwebt nach meiner Ansicht
ebenso in der Luft, wie eine medicinische Wissenschaft, welche ihre Lehr-
sätze nicht der Anatomie, nieht den empirischen Erfahrungen, sondern irgend
welcher grauen Theorie entnimmt.
91) Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 4. Aufl., Bd. I S. 181.