Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierter Band. (4)

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2. Schon L. v. Stein?!) hat mit Recht darauf aufmerksam 
gemacht, dass das Wort „Selbstverwaltung“ verhältnissmässig 
jungen Datums ist. Und so habe ich denn in der STEIN-HARDEN- 
BERG’schen Gesetzgebung, insbesondere in der vielgenannten und 
vielgerühmten preussischen Städte-Ordnung von 1808, welche all- 
gemein und mit Fug als die Grundlage aller heutigen Selbstver- 
waltung in Preussen und Deutschland bezeichnet wird, dieses 
Wort zu finden mich vergeblich bemüht. 
Studium der einschlägigen Fragen stützt. — Vielleicht ist es mir, sofern 
meine anderweite amtliche Thätigkeit dies erlauben sollte, über kurz oder 
lang vergönnt, den Beweis für die Richtigkeit des obigen Satzes in ein- 
gehender Darstellung zu erbringen. 
Für jetzt muss ich mich darauf beschränken, zu behaupten, dass es 
nach meiner Ansicht gar nicht möglich ist, zu klaren juristischen Begriffen 
anders zu gelangen, als indem man dieselben an der Hand des positiven 
Rechts — sei es eines oder mehrerer — construirt, und dass selbst die- 
jenigen Rechtsphilosophen, welche das positive Recht vollständig ignoriren 
zu können glauben, im Grunde genommen doch mehr oder weniger mit 
Anschauungen und Begriffen operiren, welche sie bewusst oder unbewusst 
dem positiven Recht entnommen haben. 
Wenn demgegenüber z.B. Krause (System der Rechtsphilosophie ; 
Leipzig 1874) — auf dessen Anschauungen auch noch die neuere Darstellung 
von AHRENS (in v. HOLTZENDORFF’s Encyclopädie der Rechtswissenschaft 1. Thl., 
8. Aufl. insbes. S. 35) sich stützt — S.19 u.a. O. den Satz aufstellt, „dass 
die Betrachtung des in den Staaten verwirklichten Rechts nicht zu der 
philosophischen Begründung des Rechts führen kann“, und diesen Satz u. A. 
damit begründet, dass die philosophische Erkenntniss überhaupt kein ver- 
mitteltes Vernehmen, keine Abstraktion aus irgend etwas ge- 
schichtlich Gegebenem sei, so behaupte ich demgegenüber, für die 
Rechtswissenschaft, dass alle philosophische Erkenntniss des Rechts in ihrem 
letzten Grunde auf das positive Recht und dessen geschichtliche Ent- 
wicklung zurückgeführt und aus demselben abgeleitet werden muss. — 
Auf eine nähere Begründung dieses Satzes muss ich hier verzichten; 
ich kann nur, um meine Ansicht zu verdeutlichen, ein Bild gebrauchen: eine 
Jurisprudenz, die, unbekümmert um die Vorschriften des positiven Rechts, 
Begriffe entwickelt und Construktionen aufstellt, schwebt nach meiner Ansicht 
ebenso in der Luft, wie eine medicinische Wissenschaft, welche ihre Lehr- 
sätze nicht der Anatomie, nieht den empirischen Erfahrungen, sondern irgend 
welcher grauen Theorie entnimmt. 
91) Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 4. Aufl., Bd. I S. 181.
	        
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