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deutung, dass sie ungestraft die Gesetze des Aufenthaltsstaates
verletzen dürfen. Sie unterliegen hierfür der Strafgewalt ihres
eigenen Staates; andererseits können sich ihre Delikte, insbesondere
wenn sie im Einverständnisse mit der Regierung des Absende-
staates erfolgt sind, als Verletzungen des Völkerrechts darstellen.
Sie berechtigen den fremden Staat zu Abwehrmassregeln: es
kommt in Betracht Warnung des Gesandten, Beschwerdeführung
oder Antrag auf Abberufung bei der absendenden Regierung,
Rücksendung durch Zufertigung der Pässe und Abbruch des
diplomatischen Verkehrs; eine Festnahme des Gesandten, sei es
auch nur als Sicherheitshaft, erscheint, wie jeder Angriff auf die
Person, unzulässig. Hier ist zu untersuchen, ob sich Delikte der
(Gesandten gegen das Spionagegesetz als Verletzungen des Völker-
rechts darstellen. Dies lässt sich nicht schon durch Hinweis auf
den allgemeinen, so ziemlich anerkannten Satz beantworten, dass
der Gesandte überhaupt die Gesetzgebung des Aufenthaltsstaates
zu achten hat. Denn gerade die Natur seiner Thätigkeit kann
ihn mit den Bestimmungen des Spionagegesetzes in Widerspruch
setzen. Der Gesandte hat nicht nur den eigenen Staat im fremden
Lande zu vertreten, er soll sich auch über die Zustände des letz-
teren unterrichten. Es ist seine Pflicht, die Kräfte und Hülfs-
mittel desselben kennen zu lernen, die politischen Absichten der
fremden Regierung zu ermitteln, und der eigenen über die ge-
machten Erfahrungen Bericht zu erstatten. Ein Militärbevoll-
mächtigter oder Attach& der Gesandtschaft hat die Aufgabe,
die Mittel der Landesvertheidigung zu erforschen. Diesen Ver-
tretern ist gerade an der Auskundschaftung von Staatsgeheim-
nissen gelegen; der Gesandte sucht sich wichtige Schriftstücke zu
verschaffen, der Militärattach® nimmt Pläne von Befestigungen
auf, er späht nach neuen Erfindungen, die auf dem Gebiete des
Militärwesens gemacht sind, er zieht offen und, wenn es nicht
anders möglich ist, heimlich Erkundigungen ein über Alles, was
für den Krieg von Bedeutung ist. Und diese diplomatischen
Vertreter werden nicht nur von jedem Staate entsendet, sie wer-
den bereitwillig empfangen und eines besonderen Schutzes ver-
sichert. Der fremde Staat weiss recht gut, wessen er sich von