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Regierung nur diejenigen ausserordentlichen Befugnisse, welche
ihr durch die Rechtsordnung für einen solchen Fall gegeben
sind’). Wohl aber ist die Regierung befugt, beziehungsweise
verpflichtet, diejenigen rechtlich nothwendigen Ausgaben, deren
Höhe gesetzlich feststeht, auch bei mangelndem Etatgesetz zu
leisten; denn die Befugniss, diese Ausgaben zu machen, wird,
wie oben dargelegt ist, nicht durch das Etatgesetz begründet,
sondern beruht, ebenso wie das Recht zur Erhebung der aus
permanenten Quellen fliessenden Einnahmen, unmittelbar auf einem
ausserhalb des Etatgesetzes liegenden Rechtstitel; der Mangel
eines Etatgesetzes hebt daher auch die Rechtspflicht der Volksver-
tretung, diese Posten als rechtmässig verausgabte anzuerkennen,
nicht auf. Dagegen diejenigen von der Regierung ohne Etatgesetz
geleisteten Ausgaben, welche einer vorgängigen „Bewilligung“ durch
das Etatgesetz bedürfen, können, wie JELLINEK (8. 305 ff.) mit
Recht ausführt, nur durch ein Indemnitätsgesetz legalisirt werden.
4. Während der beiden letzten Jahrzehnte sind in der deutschen
Staatsrechtswissenschaft die auf den Abschluss (respektive die Gül-
tigkeit und Wirksamkeit) der Staatsverträge bezüglichen Normen
des constitutionellen Staatsrechts kaum in geringerem Masse als
die Sätze des constitutionellen Budgetrechts Gegenstand vielfacher
und lebhafter principieller Erörterung gewesen. Die Hauptfrage
ist, ob den Beschränkungen, welche der Staatsregierung in Betreff
der Verträge mit anderen Staaten durch zahlreiche Verfassungen
gesetzt sind, nur staatsrechtliche. oder auch völkerrecht-
liche Bedeutung zukommt °®). Die erstere Ansicht, von GNEIST
9) Wenn man annehmen wollte, dass die Regierung kraft ihrer allge-
meinen Stellung berechtigt und verpflichtet sei, im Falle eines Nothstandes
die erforderlichen Anordnungen zu treffen, dann müsste man z. B. der
deutschen Reichsregierung, obgleich die Reichsverfassung keine dem Art. 63
der preussischen Verfassung analoge Bestimmung enthält, ein generelles
Recht zum Erlass von Nothverordnungen vindiciren.
®8) Für denjenigen, der die Existenz eines Völkerrechts überhaupt nicht
anerkennt, fällt allerdings diese Frage hinweg.
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