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Mängeln innerer Stätigkeit, innerer Verbundenheit der fachlichen Detailarbeit.
Um so rühmenswerther ist der Entschluss des Verfassers der vorliegenden
Arbeit, welcher mit Muth und gleich grossem Geschick an eine der schwie-
rigsten Fragen herantrat, die zudem auch noch sich des lastenden Privilegs
erfreute, dass die Bruchstücke ihrer literarischen Prüfung in weit voneinander
abliegende Zeiten vertheilt sind, und eine auch nur äusserliche Zusammen-
fassung bisher nicht gefunden haben.
In den Vordergrund stellen wir dabei die überaus fleissigen Forschungen
R.’s über das geschichtlich so fesselnde Thema: wie gestaltet sich allmählich
der Krieg zu einer das Gemeinschaftsleben der Staaten — nicht das Gemein-
schaftsleben im Staate (Fehde) — beherrschenden rechtlich geordneten Ein-
richtung mit ihren Regeln, mit ihren Ausnahmen, mit Fortschritten und
Rückfällen. Diese Seite der Rerric#'schen Arbeit bildet ohne Zweifel eine
werthvolle Bereicherung nicht nur der völkerrechtlichen Literatur, sondern
der juristischen überhaupt. Staatsrecht und Processrecht sind in gleicher
Weise betheiligt an der Klarlegung der vielfach noch unbestimmten Ueber-
gänge aus dem sog. Privatkriegsrecht zur staatlich geordneten Rechtspflege,
der vermittelnden Aufgabe der Landfriedensgesetze, Treuga Dei, des ewigen
Landfriedens u. s. w. Ueber alle diese Punkte giebt RETTIch in ausführ-
licher Weise auf quellenmässigen Grundlagen Auskunft und erweitert dadurch
den Blick seines Lesers beträchtlich. Wir empfinden es immer nur als
Mangel, dass die gehaltvollen Ergebnisse unter einem Titel geboten werden,
der mehr Bedenken als Vertrauen erweckt; denn, dass die Frage nach dem
„Recht zum Kriege“ ihre Antwort nicht im Gebiete des Juristischen finden
könne, ist auch durch den Verfasser wieder auf’s Schärfste dargethan, in
seinem unzweifelhaft richtigen Satze, dass „die Ueberzeugung des Staates,
einen für sein Wohl nöthigen Zweck nur auf kriegerischem Wege erreichen
zu können, der stets fortgültige Rechtstitel zur Erklärung des Krieges sci“.
Sind wir aber damit weiter gekommen als zu dem inhaltlich gewiss unbestreit-
baren Satz aus dem Jus Belli ac Pacis: causa justa belli suscipiendi nulla esse
alia potest nisi injuria —? Das ist aber eben einer jener selten bestritienen
und noch seltener in der Ausführung wörtlich controllirbaren Sätze, an denen
die völkerrechtliche Disciplin zu ihrem offenbaren Nachtheile bis auf die
neueste Zeit so reich war, und die nur dazu geeignet gewesen sind, ohne
über praktische Schwierigkeiten wirklich hinwegzuhelfen, den juristischen
Untergrund der Lehre zu erschüttern. Juristisch präciser wird der Verfasser
in den Abschnitten, welche der Lehre von der Neutralisirung zuge-
dacht sind.
Er zeigt uns hier in aller Klarheit, dass die Antwort auf die bedeut-
same Frage: welche Rechtstellung ist dem Individuum gegenüber dem Kriege
und dem Kriegsergebnisse angewiesen ? immer zugleich die genaue Ausdrucks-
formel enthalte für das Maass der in einem bestimmten Zeitpunkt einer be-
stinnmten Staatengesellschaft in’s Bewusstsein getretenen völkerrechtlichen