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hinstellt: „Der Staat ist nach dem Bilde des Menschen gemacht
und demnach ganz wie ein Mensch eingerichtet. Der Staat ist
ein Mensch im Grossen wie der Mensch ein Staat im Kleinen
ist“ ©). Das ist in Wahrheit nicht das Grundthema der orga-
nischen Staatstheorie, sondern nur der ROHMER-BLUNTSCHLTI’schen
Lehre, und diese letztere fordert heute kaum noch eine ausführ-
liche Widerlegung. Dagegen setzt sich v. KRIEKEN in schroffsten
Widerspruch zu dem eigentlichen Grundthema und der werth-
vollsten Errungenschaft der organischen Staatslehre, wenn er
sagt: „Heute haben wir es nöthig ... ... . uns vergegenwärtigen
zu lassen, dass der Staat eine Frucht menschlicher Thätigkeit,
ein Werk des bewussten, vernünftigen menschlichen
Willens ist“ ”?). Damit negirt er allerdings den Kern organischer
Staatsanschauung und zugleich überhaupt den bedeutendsten Fort-
schritt der modernen Staatswissenschaft. Und dabei zeigt sich
recht deutlich, dass die organische Theorie — was v. KRIEKEN
ja auch leugnet — eine specifisch moderne ist; denn mit seinem
Abfall von dieser Theorie gleitet v. KRIEKEN auf den Standpunkt
zurück, welchen fast ein Jahrhundert früher A. L. SCHLÖZER
ganz im Geiste seiner Zeit dahin präcisirt hatte: „Der Staat ist
eine Erfindung: Menschen machten sie zu ihrem Wohl, wie sie
Brandkassen erfanden. Die instruktivste Art, Staatslehre abzu-
handeln, ist, wenn man den Staat als eine künstliche, überaus
zusammengesetzte Maschine, die zu einem bestimmten Zwecke
gehen soll, behandelt“ ®). Gegenüber dieser Anschauung eines
der vorgeschrittensten Staatsgelehrten seiner Zeit hat die orga-
nische Theorie jetzt eine Anschauung zur herrschenden erhoben,
welche den Staat nicht als eine Erf indung, sondern als eine
Phase der naturnothwendigen Entwicklung der Mensch-
®%) a.a. O. S. 117.
?) v. KRrIEKEN a. a. O, S. 24, 25.
8) A. L. ScHhLözer, Allgemeines Staatsrecht und Staatsverfassungslehre,
Göttingen 1798, 8. 3, 4.
Archiv für öffentliches Recht. IV. ı. 5