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seiner Bekämpfung der organischen Theorie wieder der Vertrags-
theorie, indem er den Vertrag zwar nicht als die einzige, aber
als eine Entstehungsart des Staates bezeichnet 5), Nun ist es ja
unzweifelhaft richtig, dass die Geschichte einzelne Fälle von
Staatengründung durch Vertrag überliefert, z. B. jenes beliebte
Schulparadigma des Staatsgrundvertrages, welchen die Pilgerväter
an Bord der Mayflower schlossen. Jedoch beweisen solche Ein-
zelfälle gar nichts für oder gegen eine allgemeine Staatstheorie.
Denn „die Entstehung eines einzelnen Staates und die Entstehung
des Staates überhaupt sind“, wie WAıTz treffend bemerkt, „zwei
ganz verschiedene Dinge: das eine erklärt in keiner Weise das
andere“ 16). Nachdem es einmal Staaten in der Welt gab, konnten
und können neue Staaten sehr wohl durch Vertrag gegründet
werden; aber die principielle Frage wäre, wie ist die Idee des
Staates überhaupt in die Welt gekommen? Je nach der Beant-
wortung dieser Frage wird man auch bei den nachweislich auf
Vertrag beruhenden Staaten eventuell die eigentlich staatsbildende
Kraft in etwas anderem als dem Vertrage sehen, welcher nur
eine Aeusserung dieser Kraft ist.
Die Bedeutung der organischen Staatsanschauung ist eine
wesentlich negative. Nie verwirft den Gedanken, dass der
Staat eine willkürliche Schöpfung des bewussten menschlichen
Willens sei; aber auch gegenüber der Theorie von der göttlichen
Einsetzung des Staates und verwandten Lehren verhält sie sich
genau so wie die moderne Naturwissenschaft gegenüber den
Glaubenssätzen der Religion. Ohne sie zu bestreiten hält sie die
Berufung auf göttlichen Rathschluss jedenfalls nicht für eine
positiv wissenschaftliche Erklärung, und zieht daher statt dieser
Berufung das Geständniss vor, dass zur Zeit wenigstens die
Staatswissenschaft die erste Entstehung der Staatsidee nicht zu
8) v. KRIEKEN a. a. O. S. 147.
16) Wartz, Grundzüge der Politik S. 5: vgl. auch v. HoLTZENDORFF,
Handbuch des Völkerrechts Bd. II, S. 19.