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ist nicht zutreffend. Der Bundesrath beschliesst, er nimmt nicht
nur zur Kenntniss, und zwar beschliesst er etwas, was er be-
schliessen muss, nämlich das schon festgestellte Gesetz zum
Zweck der Ausfertigung und Verkündigung an den Kaiser zu
übermitteln. Wer darin eine Sanction erblicken sollte, mit dem
will ich nicht streiten.
Ein zweiter Grund der herrschenden Meinung ist niedergelegt
ın dem besonders von LABAND verfochtenen Satze: Der Träger
der Staatsgewalt ist zugleich stets der Gesetzgeber. Im Deutschen
Reich ist der Bundesrath jenes, mithin auch dieses.
Betrachten wir zunächst das erste Glied dieser Behauptung:
Der Bundesrath ist der Träger der Reichsgewalt. Ich begnüge
mich, an dieser Stelle daran zu erinnern, dass die Frage nach
der staatsrechtlichen Structur der Reichsgewalt zu den bestrit-
tenen des deutschen Staatsrechts gehört, und dass sich in neuerer
Zeit Vertreter von Ansichten gefunden haben, welche, wie HÄNEL,
(HERKE, MARTITZ, TREITSCHKE, RÖNNE, SCHULZE, jene als herr-
schend geltende Meinung von der allein dem Bundesrath zukom-
menden Trägerschaft der Reichsgewalt bekämpfen. Man vergleiche
in dieser Beziehung SCHULZE, Lehrbuch II, 8. 28 £.
Allein gesetzt, der Bundesrath wäre der Träger der Reichs-
gewalt, wäre er damit auch das Gesetzgebungsorgan des Reiches?
Der Satz: Der Träger der Gewalt ist zugleich der Gesetzgeber,
ist ein Beispiel jener zu verwerfenden Versuche, überall im Staats-
recht mit logischen, abstracten Formeln zu operiren, ohne die
Richtigkeit derselben leicht und ohne Verdrehungen belegen zu
können. Den Streit um die Beantwortung der Frage: Ist der
Träger der Gewalt auch Gesetzgebungsorgan, — halte ich für ebenso
müssig, wie einer zielbewussten Staatsrechtswissenschaft unwürdig;
müssig, denn man mag die Frage so oder so beantworten, es
wird damit an dem positiven Recht auch nicht ein Jota geändert;
und da ein sicherer Anhalt fehlt, so wird man weiter nichts
haben, als eine Summe subjectiver Constructionen, welche je nach