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Auch mag hervorgehoben werden, was sogleich noch in an-
derem Zusammenhang zu berühren ist, dass jene Formel von einer
Sanction des Bundesraths überall nicht redet; es heisst nur:
„nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und Reichstags“.
Wie nahe läge es, der Sanction in der Eingangsformel Erwähnung
zu thun, wenn sie existirte.
Sodann steht ein wichtiger Gewährsmann auf meiner Seite.
GIERKE schreibt in seiner Ankündigung des LABAND’schen Staats-
rechts in Grünhut’s Zeitschr. VI, S. 229 f.: „Der Begriff der
Sanction ist keineswegs der Ausdruck eines logisch nothwendigen
Stadiums der Rechtserzeugung; sondern der Ausdruck eines posi-
tiven Verfassungssatzes über die ungleiche Betheiligung der
verschiedenen staatlichen Organe an der Herstellung des Gesetzes-
willens ..... Auch die deutsche Reichsverfassung bietet keinen
Anhalt, um im Widerspruch mit dem Wortlaut des Art. 5 den
Begriff der Sanction in das Reichsstaatsrecht einzuführen und
diese entscheidende Befugniss dem Bundesrath zuzuweisen“.
Ich füge endlich hinzu, dass ein etwaiges Recht der Sanction
vom politischen Standpunkt aus ein ziemlich werthloses sein würde.
Denn der Bundesrath wird natürlich einem missliebigen Entwurf
gegenüber schon seine Zustimmung zum Inhalt des Gesetzes ver-
weigern und das Zustandekommen desselben somit vereiteln
können, ohne einer Sanctionsbefugniss zu bedürfen. Mit Recht
bemerkt LABAND, dass die politische Aufgabe mit dem Einver-
nehmen des Bundesraths und Reichstags gelöst ist. Eine völlige
Werthlosigkeit zu behaupten, würde indess unrichtig sein, da
immerhin Fälle denkbar sind, wo der Bundesrath veranlasst wäre,
einen früheren zustimmenden Beschluss mit Hülfe der Sanction
umzustürzen. GIERKE führt als Beispiel einen in einem wich-
tigeren Staate eingetretenen Ministerwechsel an. Allein diese
Fälle sind so seltene, dass man kaum annehmen darf, der Reichs-
gesetzgeber habe sie berücksichtigt und desshalb den Art. 7 Ziffer 1
geschaffen.