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lassen sich Bestimmungen der Reichsverfassung anführen, welche
jener Meinung entgegenstehen, welche vielmehr auf eine freie,
selbständige Stellung des Kaisers hindeuten. Hierher ist vorzugs-
weise zu zählen das Recht desselben, das Reich völkerrechtlich
zu vertreten und im Anschluss hieran das Recht, Bündnisse mit
fremden Staaten zu schliessen. Wenn der Ausschuss des Bun-
desraths für auswärtige Angelegenheiten beim Abschluss von
Verträgen vielleicht consultirt wird, so mag dies ein politisch
wünschenswerthes Vorgehen Seitens des Kaisers sein, juristisch
nothwendig ist es sicherlich nicht.
Indessen, wie viele andere Artikel der Verfassung lassen sich
hinwiederum erbringen, welche die Selbständigkeit der kaiserlichen
Stellung widerlegen. Man vergleiche Art. 11, Abs. 1 und Abs. 2:
„Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die
Zustimmung des Bundesraths erforderlich, es sei denn, dass ein
Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt.
Insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche
(Gegenstände beziehen, welche nach Art. 4 ın den Bereich der
Reichsgesetzgebung gehören, ist zu ihrem Abschluss die Zustim-
mung des Bundesraths und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung
des Reichstags erforderlich.“
Hier erscheint der Kaiser eingeengt, unfrei, unselbständig.
Der princeps inter pares spukt in den citirten Stellen, dem selb-
ständigen Reichsorgan, dem freien Kaiser widersprechen sie auf
das Schlagendste.
Die Vertreter der einen Meinung werden die eine Kategorie
von Stellen, diejenigen der anderen die andere zu deuteln und zu
drehen suchen. Dieses Bestreben ist, weil es die Einheit der
Oonstruction zu schaffen unternimmt, zu entschuldigen, aber
nimmermehr zu billigen. Jedenfalls ist es juristischer, an jenen
klaren Verfassungsbestimmungen nicht zu modeln, sondern zu
erkennen, dass die Verfassung den Kaiser hier mit der grössten
Selbständigkeit ausstattet, dass sie ihn dort auf das Aergste be-