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anderen Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemuthet werden kann,
so ist der andere Ehegatte die Trennung von Tisch und Bett zu verlangen
berechtigt; die sofortige Scheidung ist er in einem solchen Falle nur dann
zu verlangen berechtigt, wenn nach den Umständen des Falles die Aussicht
auf Herstellung des ehelichen Verhältnisses ausgeschlossen ist. Die Zeit der
Trennung von Tisch und Bett ist in dem Urtheile zu bestimmen; die Trennung
kann nicht auf einen längeren Zeitraum als zwei Jahre bestimmt werden.“
Nach Ablauf der Trennungszeit kann gemäss $ 1445 die Scheidung ver-
langt werden.
Nur im Vorübergehen mag darauf hingewiesen werden, welche An-
forderungen das (fesetz hier erhebt: Zunächst verlangt es eine so tiefe
Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses, dass dem unschuldigen Ehegatten die
Fortsetzung der Ehe nicht mehr zugemuthet werden kann, und dennoch
muthet das Gesetz ihm dieselbe zu, wenn der Richter die Aussicht auf Her-
stellung des ehelichen Lebens noch nicht für ausgeschlossen erachtet. Wie
kann der Richter aber wohl noch Aussicht auf Versöhnung haben, wenn das
eheliche Verhältniss schon den vom Gesetz bezeichneten hohen Grad der
Zerrüttung erfahren hat! Entweder schablonenmässig stets — oder nie!
Auch die Trennungszeit hat erhebliche Bedenken gegen sich, da eine
zu kurze Frist zwecklos und eine lange Zeit den ärmeren Theil des Volkes
zum Ehebruch treiben wird. Der Arbeiter kann für diese Zeit der Trennung
die Haushälterin nicht entbehren, und nimmt er sich eine solche, so theilt
sie auch sein Bett.
Aber abgesehen von diesen Bedenken kann die Befürchtung nicht
unterdrückt werden, dass gerade dieser $ 1444 der Kampfplatz werden
wird, auf welchem vielleicht das Schicksal des Gesetzbuches zur Entscheidung
gelangt.
So sehr die Motive die relativen Scheidungsgründe empfehlen, und so
viel sich auch zur Vertheidigung derselben anführen lässt, so bedenklich wird
es den verschiedenen Parteien des Reichstages erscheinen, denselben zuzu-
stimmen.
A. Pütter, Oberlandesgerichtsrath.
Archiv für Öffentliches Recht. \V. 1. 10