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Allein neuerdings ist die Berechtigung, eine Doppelnatur des
Gesetzes anzunehmen, wieder in Frage gestellt worden. Im zweiten
Bande seiner „Studien zum deutschen Staatsrechte“ (1888) be-
spricht HÄneL S. 99—354 „das Gesetz im formellen und ma-
teriellen Sinne“ und gelangt zu dem Ergebnisse:
„Die Form des Gesetzes hat den Rechtssatz zu
dem ihr nothwendigen Inhalte.“
Da hiernach jedes Gesetz im formellen Sinne zugleich ein
(Gesetz im materiellen Sinne darstellen soll, würde eine Unterschei-
dung weder nöthig noch möglich sein. Und in so eingehender
Weise, so umsichtig, mit so tiefer Begründung wird dieser Be-
weis zu erbringen versucht, dass eine nochmalige Prüfung der
Frage vom Standpunkte der allgemeinen Rechtslehre aus geboten
erscheint. Ich folge daher gern einer mir von dem Mitheraus-
geber dieses Archives gegebenen Anregung, zu den grundlegenden
Fragen Stellung zu nehmen.
T.
Abstracte Norm und Individualnorm.
Die Frage, welche HÄneL aufwirft und welche er schliess-
lich in verneinendem Sinne beantwortet, lautet:
„Ist es richtig, dass das Gesetz im Rechtssinne eine so
weite, eine gegen ihren Inhalt so gleichgültige Allerweltsform
ist, dass sie nicht nur Rechtssätze, sondern alles mögliche Andere
bis zum rechtlich vollkommen Irrelevanten enthalten kann?*
(S. 115).
Um zur Beantwortung zu gelangen, unternimmt HÄNneEL die
Feststellung dreier Elemente. Diese Elemente sind:
der Begriff des Rechtssatzes,
der Begriff der Form des Gesetzes,
eine Analyse des Inhaltes, der in der Form des Gesetzes
aufgewiesen werden kann.