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jeder Zeit von allen Schriftstellern, die sich über „Gesetz“ und
„Recht“ geäussert haben, ein Gebieten und Verbieten als vor-
nehmlichster Inhalt genannt worden ist. Die legis virtus soll
sich und zwar an erster Stelle im imperare vetare bewähren: ob an
einziger Stelle, steht, wie bemerkt, hier nicht in Frage. Wo immer
ein neuer staatlicher Befehl auftritt, wo staatlicherseits etwas ge-
boten wird, was früher nicht geboten war, wo verboten wird,
was vordem erlaubt war, haben wir die Neubildung objectiven
Rechtes vor uns. Zu der Summe staatlichen Rechtes gehören
jedenfalls sämmtliche staatliche Imperative. Sie sind gemeint,
wenn des Ferneren von „Normen“ gesprochen werden wird. Ab-
stracte Norm soll als abstracter Befehl, Individualnorm als indi-
vidueller Befehl verstanden werden; Gebot und Verbot bilden bei
beiden Arten von Normen wieder je eine Unterart.
Sollte nun eine Rechtsbildung nur erfolgen können durch
eine abstracte Norm, welche für eine unbestimmte Anzahl von
Fällen Geltung beansprucht, nicht aber durch eine Individualnorm,
welche nur einen Einzelfall (oder eine bestimmte Anzahl einzelner
Fälle) zu regeln unternimmt? „Verfügungen“ werden letztere von
MEYER genannt und wenn in den Formen des Gesetzes erlassen
als Verfügungen in Gesetzesform und sonach als bloss formelle
Gesetze den Gesetzen im materiellen Sinne gegenübergestellt.
Ueber die terminologische Frage gedenke ich nicht zu streiten.
In der That weisen die abstracten Normen gegenüber den Indi-
vidualnormen in vielfacher Beziehung Unterschiede auf — und
überdies sind sie mit der Zeit an Zahl und Bedeutung den letzteren
gegenüber so übermächtig geworden, dass eine besondere Bezeich-
nung für jede dieser beiden, für das heutige Leben an Werth so
ungleichen Gruppen sich empfiehlt. Auch will ich von vorn herein
zugeben, dass — wie der Ausdruck „Gesetz“ — so auch das
Wort „Rechtssatz“, da es von einem Setzen des Rechtes ge-
nommen ist, sprachlich auf das Stetige, Bleibende, Fortwirkende
der abstracten Norm hinweist, im Gegensatze zu dem Vergänglichen,