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zugestanden wird, dass die Aufgabe der Normen das Gebieten
und Verbieten wenigstens auch mit umfasst — wenn die Gegner
ferner behaupten, dass eine individuelle Norm niemals eine Rechts-
setzung enthalte: dann kann folgeweise auch das Individualgebot
sowie das Individualverbot niemals neues Recht setzen. Gegen
die Richtigkeit des Mittelgliedes dieser These wendet sich die
gegenwärtige Ausführung.
Ein zweiter Anlass entspringt der verhältnissmässigen Selten-
heit individueller Gebote und Verbote. Im heutigen Rechtsstaate
herrscht das Bestreben vor, die Staatsgenossen mit ihren persön-
lichen und sachlichen Gütern nicht allein der „Verwaltung“ gegen-
über sicher zu stellen, nein auch das Gesetz soll walten ohne
Ansehen der Person, rein sachlich und unbeeinflusst von indivi-
duellen Interessen. Einem Jeden soll, wie die Summe seiner
Rechte, so auch das Mass seiner Lasten möglichst im Voraus
bestimmt sein. Nur so bietet sich die Garantie, dass das Gesetz
nicht von Gunst oder Ungunst gegen den Einzelnen getragen
wird. Ein Gesetz mit Individualbefehl wird daher nur in Aus-
nahmefällen, sei es als Uebergangsbestimmung, sei es als exceptio-
nelle Nothmassregel erlassen werden.
Endlich trägt ein dritter Umstand dazu bei, dass wenigstens
im Individualgebote die Rechtsregel verkannt wird. Wie jedes
Gebot, heischt auch dieses Erfüllung; im regelmässigen Verlaufe
der Dinge wird ihm die Erfüllung auf dem Fusse folgen. Und
falls dies geschehen, ist mit der Erfüllung auch das Gebot selbst,
die Rechtssetzung, erloschen. Auch der rechtssetzende Act mit-
sammt seiner Wirkung, der Rechtssetzung, gehört alsdann der
Vergangenheit an; der Geschichte anheimgefallen, entwickelt er
nicht weiter eine das Leben beherrschende Kraft. Dies ist der
Gedanke, der Inerin@’s lebendiger Schilderung zu Grunde liegt,
wenn er das Individualgebot als das Recht in Bewegung darstellt,
welches erst in der abstracten Norm, im Gesetze, zur Ruhe
komme.