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der Landstände auch Freiheit, Sicherheit und Eigenthum des
Einzelnen durch individuelle „Verfügung“ anzugreifen — min-
destens auf so lange, bis in den neuen Formen der Gesetzgebung
die Fälle erlaubten Eingriffes erschöpfend fixirt worden wären.
Und doch halte ich diesen Satz für nicht gerechtfertigt, obschon
hier auch HäÄneıL dem Landesherrn das Individualgesetz frei giebt.
Die Worte „welche ... das Allgemeine angehen“ erhalten durch
die Zwischenworte „eben desshalb“ ihre Erläuterung; die Allge-
meinheit ist auch an dem Wohl und Wehe der Einzelnen inter-
essirt, deren Summe die Allgemeinheit bildet.
Andererseits vermag ich mich der Schlussargumentation
Hänen’s 8. 138 betrefis der Reichsverfassung nicht anzuschliessen.
Allerdings wird von dem Standpunkte MeveEr’s aus den Einzel-
staaten auch betreffs der Materien, welche in Art. 4 der Reichs-
verfassung aufgeführt werden, das Recht zum Erlass von Iudivi-
dual-Geboten und -Verboten zugesprochen werden müssen — mit
Ausnahme derjenigen Materien, betrefis derer dem Reiche ver-
fassungsmässig ausschliesslich die Gesetzgebung zusteht. Allein
ehe das Reich von seiner Gesetzgebungsbefugniss Gebrauch macht,
haben die Einzelstaaten ohnehin concurrirende Gesetzgebung —
und nachdem das Reich gesprochen, ist den Einzelstaaten abstracte
wie individuelle Normirung in gleicher Weise entzogen.
Nach alledem gelange ich zu folgendem Ergebnisse. Ab-
stracte und individuelle Gebote und Verbote enthalten gleicher-
massen neue Rechtssetzung; formelle Gesetze dieses Inhaltes sind
mithin auch Gesetze im materiellen Sinne des Wortes. Die These
Häner’s von der Congruenz des formellen und materiellen Ge-
setzes ist hiernach durch den Hinweis darauf, dess es „Gesetze“
gebe, welehe nur Individualnormen enthielten, nicht zu erschüttern.
(Fortsetzung folgt.)