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Die so entwickelte canonistische Doctrin erlangte bei den
Publieisten des Mittelalters eine hohe Bedeutung; sie gab zuerst
den Anstoss, sich über die theokratischen und patrimonialen Ideen
zu erheben; sie war der Anlass, dass man zwischen dem Ver-
mögen des Fürsten und dem Staatsvermögen, sowie zwischen den
Rechtshandlungen, welche die Rechtssphäre des Fürsten als Ein-
zelnen betrafen und jenen, die er als Repräsentant des Staates
vornahm, die daher auch den Nachfolger binden mussten, unter
schied.
Durch Vermittelung der Oanonisten also gelangte die Auf-
fassung des Amtes als einer juristischen Person, welche den
römischen Quellen fremd sein musste, in die romanistische Juris-
prudenz.
84. Politische Gründe der Beschränkung der juristi-
schen Person auf das Privatrecht. Die gleiche Ten-
denz bei der organischen Staatslehre.
Indess ist die Autorität des römischen Vorbildes nicht der
einzige Grund dafür gewesen, dass die deutsche Rechtswissenschaft
zum überwiegenden Theile die oben gekennzeichneten Wege wandelte;
es tritt noch ein zweiter Grund dazu, der mit jenem ersten aller-
dings in genetischem Zusammenhang steht, aus dessen Darstellung
sich sofort noch ein dritter ergeben wird.
Der zweite Grund ist ein wesentlich politischer. Die Re-
ception des römischen Rechtes erfolgte zum guten Theile auch
desshalb, weil man jene Spaltung des Rechtes in zwei Gebiete,
wie wir sie im Corpus juris vollzogen sehen, zu den Zwecken
der sich auf dem Wege des Absolutismus entwickelnden Staats-
idee benutzen wollte und konnte. Wenn — vom Strafrecht
abgesehen — das öffentliche Recht sich in den römischen Rechts-
quellen so ziemlich auf die Festsetzung des centralistisch-bureau-
kratischen Aemter-Organismus und darüber der nackten Willkür
des vergötterten Kaisers, das Gebiet des „eigentlichen“ Rechtes