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leiten, dass unsere Schriftsteller zu ausschliesslich das indivi-
dualrechtliche Gebiet betrachten. Die Bestimmung der Begriffe
Recht und Rechtssubject muss sich, soll sie eine richtige sein,
auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes, für dessen Behandlung
sie die Grundlage aller wissenschaftlichen Betrachtung bildet,
ebenso bewähren, wie im Privatrechte. Prüfen wir also zunächst,
wie sich das noch immer als die herrschende Auffassung zu be-
zeichnende Willensdogma im Verbandsrechte bewährt.
86. Absurde Consequenzen des Willensdogmas im
Verbandsrechte.
Nirgends zeigt sich jedoch die Unmöglichkeit, den Begriff
des Rechtssubjectes auf der Grundlage des Willensdogmas zu
verstehen, deutlicher als bei Betrachtung des Verbandsrechtes.
Es lassen sich da zwei Gruppen von Erscheinungen unter-
scheiden, welche das Willensdogma ad absurdum führen.
Die eine ergibt sich aus folgender Erwägung.
Wäre wirklich, wie es das herrschende Dogma will, das
Subject eines „rechtlich relevanten Willens“ das Rechtssubject,
so liesse sich die Oonsequenz unmöglich abweisen, dass jene
Menschen, welche als Organe eines Gemeinwesens durch ihre
Willensthätigkeit zugleich dessen Willen erzeugen, die Subjecte
der Rechte des Gemeinwesens wären. Denn, mögen auch die
Normen der Verfassung dieses letzteren die rechtliche Wirkung
haben, dass der Organwille den des Gremeinwesens darstellt, so
lässt sich doch die Thatsache nicht hinwegleugnen, dass der
psychische Process, welchen wir „Wille“ nennen, in den Köpfen
von Menschen vor sich gehen muss; Rechtsnormen mögen die
rechtlichen Wirkungen dieses Processes wie immer dirigiren;
denken, wollen, fühlen, handeln kann nur der Mensch. So be-
rechtigt es ist, auf Grund der Verfassungsnormen des Gemein-
wesens das Gemeinwesen als denkend, handelnd, wollend,
fühlend zu betrachten, wenn es sich um die rechtlichen