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die jetzt ziemlich allgemein anerkannte Delictsfähigkeit des Staates.
Wie wäre es zu erklären, dass ein und dasselbe Willens subject
verschiedene sich widersprechende Willensäusserungen erzeugt ?
Die gleiche Wahrnehmung machen wir bei gesetzwidrigen
Verwaltungsacten, bei Genehmigungen von Üorporations- oder
Anstalts-Statuten, Stiftbriefen, Beschlüssen von Selbstverwaltungs-
körpern, die mit Gesetzen im Widerspruche stehen. Auf den
ersten Blick scheint ein Verwaltungsgericht Abhilfe zu schaffen.
Allein dieses ist nicht der Hüter des Gesetzes, sondern ver-
letzter subjectiver Rechte und wo solche nicht verletzt sind,
wer einigt dann Gesetz und Verwaltungsact?
Am allerprägnantesten aber wird das Willensdogma ad ab-
surdum geführt durch das Institut des Competenz-Conflictsgerichtes.
Unserem staunenden Auge enthüllt sich da das räthselvolle
Schauspiel, dass innerhalb eines und desselben Willenssubjectes
(und das ist ja nach dem Willensdogma das Rechts subject)
zwei Willen sich klagen, bekämpfen, appelliren, kurz einen
förmlichen Rechtsstreit mit einander abführen, um dann gar
von einem dritten Willen den Streit geschlichtet zu sehen. Indess
nicht einmal diese Schlichtung gelingt immer; so beispielsweise,
um von anderen Fällen zu schweigen, im Falle eines negativen
Competenz-Conflictes, wenn die betheiligte Partei beim Conflicts-
gerichte keine Klage erhebt.
Und wer aus der gerichtlichen Praxis ein Beispiel wünscht,
dem bietet die sogen. Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des
Gesetzes ein allerschönstes. Nur in favorem libertatis wirkt der
Urtheilsspruch des Cassationshofes rescindirend; erfolgte ein Frei-
spruch, so bleibt das Urtheil in Kraft (unter Anderem, was
bei Privatanklagen sehr relevant werden kann, im Kostenpunkte)
und doch wird das erste Urtheil hinterher durch ein Urtheil des
höchsten Gerichtes in feierlichster Weise als mit dem Gesetze
im Widerspruche stehend erklärt!
Im Civilrechte bietet die Unzulässigkeit der Compensation