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durch die naiv-sinnliche Anschauung, welche in dem Bild oder
der Statue des Gottes diesen selbst verkörpert fand, so dass jene
Interessensphäre hiemit ein sichtbares Subject gewonnen hatte
und dem Glauben nur mehr die Beseelung des Götterbildes übrig
blieb. Darum ist meines Erachtens die Rechtsfähigkeit der römi-
schen Gottheiten im Princip ganz die gleiche wie die des römischen
Bürgers, mögen auch in zahlreichen Beziehungen Abweichungen
von derselben hinsichtlich ihres Umfanges und der Rechtsreali-
sirung bestanden haben ?*!),
Die anthropomorphistischen heidnischen Anschauungen gingen,
wie natürlich, trotz des Christenthums in die mittelalterliche
Cultur über. Genau wie die heidnischen Gottheiten werden jetzt
Engel und Heilige als Rechtssubjecte aufgefasst, nur dass die wo-
möglich noch naiv-sinnlichere Auffassung dieser Zeit die Indivi-
dualität der letzteren nicht in den Bildnissen, sondern in den
Reliquien oder auch in dem Haus, der Kirche (als Bauwerk) ver-
körpert fand. Ja selbst die naive Blasphemie wurde begangen,
den christlichen Gott (oder Christus) als Rechtssubject, als Eigen-
thümer zu betrachten und zwar nicht blos sporadisch, sondern
ganz gewöhnlich und bis in die neueste Zeit??). Allein wenn-
gleich im Princip die Auffassung Gottes: als Rechtssubjectes denk-
bar wäre, wie ja das Beispiel des römischen Rechtes erweist, so
widerspricht dieselbe doch unserem christlichen (ottesbegriff auf
das entschiedenste. Sie mag seiner Zeit als Kampfmittel gegen
die Säcularisationsgelüste in einer rohen und gewaltthätigen
#41) GiERKE’s Darstellung a. a. O. S. 64, 65 scheint mir widerspruchs-
voll zu sein. Einerseits soll „die Rechtssubjectivität der Götter neben
die Befugnisssphären des populus und der privati als eine eigenartige dritte
Institution treten“, „eine solche Rechtssubjectivität durchaus sui generis“
sein; andererseits soll aber dennoch damit „keineswegs der Gott ein der
Allgemeinheit und dem Individuum coordinirtes drittes Centrum der Rechts-
welt geworden sein“. Wie lassen sich diese Behauptungen zusammenreimen ?
— 12) Man sehe die lange Liste von Autoren dieser Art bei HüBLer, Der
Eigenthümer des Kirchengutes, 1868. S. 4 ff. und MEURFR a. a. O. 8.305 fi.