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Herrn wieder ein vollständiges wurde. Das Problem, diese Ge-
meinschaftsform zu erhalten, scheiterte an dem mit Nothwendig-
keit sich einstellenden Drange der Belehnten, ihr Recht in ein
erbliches zu verwandeln. Wenn man die Ueberzahl derselben,
das Wachsen ihrer Macht durch fortschreitende Cultur und Bil-
dung, das wachsende Bedürfniss des modernen Staates sich im
Kriege auf die breiten Massen zu stützen, die sich gerade aus
diesen Elementen zusammensetzen, in Betracht zieht, so wird es
klar, warum diese Gemeinschaftsform den egoistischen Trieben
der die Uebermacht gewinnenden Unterthanen zum Opfer fallen
musste. Analoge staatsrechtliche Gebilde haben sich allerdings
bis in unsere Zeit erhalten. Das Institut des Lehenrechtes er-
streckte sich ja von vorneherein auf einen grossen Theil jener
Interessen, welche wir heute in das Gebiet des öffentlichen Rechtes
verweisen und so ist es erklärlich, dass aus der Lehre vom „ge-
theilten Eigenthum“ die Lehre von der „getheilten“ oder „halben“
Souveränetät entsprang, da man in dieser letzteren das charak-
teristische Merkmal der staatlichen Rechtssubjectivität zu erblicken
gewohnt war. Die Vasallenstaaten der Pforte, die Indianerstaaten
in Nordamerika und Nicaragua, die indischen und andere asiatische
Vasallenstaaten ?®?) bilden noch derzeit bestehende Formen einer
solchen Theilung staatlicher Hoheitsrechte, obwohl sich freilich
— in Europa wenigstens — auch auf staatsrechtlichem Gebiete
ein analoger Prozess vorhersehen lässt, wie jener, der dem Lehen-
recht in der Sphäre des Privatrechtes ein Ende bereitet hat, nur
dass derselbe durch Factoren der äusseren Politik bedingt sein wird.
Auch in der Kirche lag die Sache ähnlich wie beim Lehens-
und Bauernverhältniss; das genügend intensive eigene Interesse an
dem kirchlichen Amte konnte im Mittelalter nur durch die eigen-
thumsgleiche Uebertragung der Beneficialgüter zu Stande gebracht
werden; die aus der Erblichkeit bei den mittelalterlichen Zuständen
und Nutzungseigenthümers decken sich. — °®?) Vgl. die eingehende Dar-
stellung bei JELLIMmEK, Die Lehre von den Staatenverbindungen, $S. 144 ff.,