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Die Meinung des Reichskanzlers geht offenbar dahin, „ein in
der Praxis zweifellos seit lange latentes Princip“ (STÖRK, in von
Holtzendorff’s Handbuch des Völkerrechtes, Band 2, S. 663) aus-
drücklich anzuerkennen, somit keineswegs neues Recht — am wenig-
sten für diesen Einzelfall — zu schaffen. Hiermit ist allerdings
die volle Anerkennung nicht recht vereinbar, die den diesseitigen
Gerichten und Beamten gezollt wird. Vielmehr wäre einzuräumen,
dass diese sich durch Uebersehen jenes latenten Rechtssatzes eines
— freilich im höchsten Mass entschuldbaren -—- Versehens schul-
dig gemacht haben.
Die Ausführungen der Note lassen nun aber erkennen, dass
die Exemtion der hier in Frage kommenden Personen lediglich
eine processualische und von ihrem Aufenthalt im Inland ab-
hängig ist; und hierin ist denselben vollkommen zuzustimmen.
Von einer materiellrechtlichen Befreiung jener Personen ist keine
Rede; sie können sich durch ihre im Inland oder Ausland be-
gangenen Handlungen nach Massgabe des inländischen Strafrechtes
verantwortlich machen. Und auch processualisch sind sie keines-
wegs schlechthin für die Dauer ihres Amtes eximirt. Es wäre zu-
lässig, dass gegen sie Anklage erhoben wird. Aber der Umstand,
dass sie in amtlicher Eigenschaft auf inländischem Gebiet sich be-
finden, soll nicht zur Vornahme von Processhandlungen, insbeson-
dere Zwangsmassregeln, gegen sie ausgenutzt, vielmehr ihnen die
freie Rückkehr in’s Ausland nicht verwehrt werden. Ob dagegen
die Anwesenheit im Inland durch eine Verabredung mit inländi-
schen Beamten veranlasst wurde oder nicht, ist gleichgiltig, wenn
sie nur die Erledigung amtlicher Geschäfte bezweckt.
e) Ganz analog ist die Stellung derjenigen Personen, welche
auf Grund einer Zeugenvorladung aus dem Ausland sich nach dem
Inland begeben haben, gemäss den Bestimmungen der internatio-
nalen Verträge. So heisst es z. B. in dem Auslieferungsvertrage
zwischen Deutschland und Italien vom 31. October 1871, Art. 13,
Abs. 3:
Archiv für öffentliches Recht. V. 3. 24