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Es würde aber überhaupt verfehlt sein, dem Umstand ent-
scheidende Bedeutung beizumessen, gegen welches Object das
Verbrechen sich richtet. Jedes Verbrechen verletzt nicht nur
den zunächst und unmittelbar Betroffenen, sondern die öffentliche
Rechtsordnung. Diese aber ist Sache des Reiches und insofern
berührt jedes Verbrechen die Interessen des Reiches.
Wenn daher das Reich auch die Strafrechtspflege zum grössten
Theil den Einzelstaaten überlassen hat, so durfte es sich doch
nicht jeder Einwirkung auf diese begeben. Dies hat es denn
auch keineswegs gethan,; vielmehr steht ihm die Aufsicht über
jene zu, wodurch es überhaupt erst ermöglicht wurde, die Rege-
lung so, wie eben dargelegt, vorzunehmen.
Vermöge dieses Aufsichtsrechtes könnte das Reich insbeson-
dere die Thätigkeit der Staatsanwaltschaften in den Einzelstaaten
seiner Controle unterwerfen. Es ist bekannt, dass in einem Fall
sich der Bundesrath allerdings zu directem Einschreiten veran-
lasst gesehen hat. Es handelte sich damals um die Strafbarkeit
polizeilich concessionirter Bordelle. Der Hamburger Staatsanwalt
und Oberstaatsanwalt hatten die Klageerhebung abgelehnt und
der Hamburger Senat die hierauf erhobene Beschwerde zurück-
gewiesen. Hierauf wurde Beschwerde beim Bundesrath eingelegt
Denn da sich das Reich aus den Bundesstaaten zusammensetzt, so richtet sich
der gegen den Theil gerichtete Angriff implicite auch stets gegen das Ganze.
Wie erheblich aber thatsächlich das Reich durch den gegen den Bundes-
staat gerichteten Angriff berührt wird, kommt ganz auf die Gestaltung des
Einzelfalls an. Wenn es z. B. unternommen würde, die monarchische Staats-
form in allen deutschen Staaten, in welchen sie besteht, mit Ausnahme von
Preussen, zu beseitigen, oder die Staaten südlich des Mains zu einem Staat
zu vereinigen; oder wenn von Preussen alle Gebietstheile abgerissen werden
sollten, die es seit dem Grossen Kurfürsten erworben hat, so wären das Vor-
gänge von der allergrössten Bedeutung für das Reich. — Die Vorschriften
des R.-G.-B.’s sind hier überall ganz correct. Die alternative Erwähnung
des Reichs und der Bundesstaaten ermöglicht eine Verurtheilung in jedem
Fall. In dem G.-V.-G. $ 136, No. 1 wird aber dem Gegensatz eine Schärfe
verliehen, welche er in Wahrheit gar nicht hat.