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dass sie in der ersten Instanz dem Bundesstaat, in der Revisions-
instanz dem Reich gehört und dass in dieser letzteren den Be-
hörden des Bundesstaates jede Einwirkung auf die Sache entzogen
ist. Es wäre denkbar, dass die von der Landesbehörde — viel-
leicht auf directe Anweisung der Landesjustizverwaltung — ein-
gelegte Revision vom Oberreichsanwalt zurückgenommen würde.
Endlich erklärt sich daraus auch die Ausdehnung der Gerichts-
gewalt jedes deutschen Gerichtes über ganz Deutschland. Da die
Gerichte Behörden der Einzelstaaten sind, so sollte man erwarten,
dass ihre Befugniss zur Vornahme von Zwangsmassregeln sich
auf den eigenen Staat beschränkt. Bekanntlich gilt aber gerade
das Gegentheil. Das G.-V.-G. hat sich auf den Standpunkt ge-
stellt, dass die Grenzen der einzelnen Bundesstaaten für die
Rechtspflege überhaupt nicht in Betracht kommen, sondern dass
jedes Gericht zur Vornahme von Processhandlungen nicht weniger
in einem fremden als dem eigenen Staat berechtigt ist.
Sofern nun aber durch das G.-V.-G. eine derartige Erweiterung
der Gerichtsgewalt jedes deutschen Gerichtes vorgenommen wurde,
rechtliche Schwierigkeiten bestehen hier nicht. Auch die Wirkung der
Abolition ist dieselbe wie früher: sie bewirkt die gänzliche Unzulässigkeit
der Strafverfolgung. Hiernach wird nicht bezweifelt werden können, dass
die Landesherren nach Massgabe der Particulargesetze nach wie vor befugt
sind, die Erhebung der Anklage zum Zweck der Niederschlagung zu ver-
bieten. — Nun erst erhebt sich die weitere rein processualische Frage, ob
etwa die Str.-P.-O. bewirkt hat, dass die Abolition von einem bestimmten
Zeitpunkt ab — sei es Erhebung der Öffentlichen Klage, sei es Eröffnung
der Untersuchung oder des Hauptverfahrens — nicht mehr erfolgen kann,
selbst wenn das Particulargesetz dies gestattete. Eine derartige Bestimmung
wäre möglich — sie ist aber thatsächlich nicht vorhanden und zwar desshalb
nicht, weil das Gesetz mit dem Bestehen des Abolitionsrechtes überhaupt
nicht rechnet. Str.-P-O.$ 154 gehört nicht hierher; denn Zurücknahme der
Klage durch die Staatsanwaltschaft und landesherrliche Abolition sind zwei
ganz verschiedene Dinge. Dass aber die Gerichte nach eröffneter Unter-
suchung kein wohl erworbenes Recht darauf haben, den Fall durch Urtheil
in der Sache selbst zu erledigen, geht schon aus der vielfachen Rücknehm-
barkeit des Antrags hervor.