Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfter Band. (5)

Literatur. 
Dr. Siegfried Brie, Professor der Rechte in Breslau. Die gegenwärtige 
Verfassung Frankreichs. Breslau, Schletter’sche Buchhandlung 
1888. 8° 698. 
Die kleine Schrift erschien aus Anlass des fünfzigjährigen Doktor- 
Jubiläums von RuDoLF von Gneıst als Festgabe der Breslauer Juristenfakultät. 
Sie enthält auf knappem Raume sehr viel des Interessanten und Lesenswerthen. 
Das französische Verfassungsrecht lädt ja wie kein anderes ein zu rechts- 
vergleichenden Betrachtungen. Und zwar ist es nicht bloss der Gegensatz 
zu den Verfassungen, die anderwärts bestehen, namentlich zu den uns näher- 
liegenden, der uns hier entgegentritt. Sondern das französische Staatswesen 
selbst bietet in zeitlicher Aufeinanderfolge während eines verhältnissmässig 
kurzen Abschnittes seiner Geschichte eine ganze Reihe von verschiedenen 
Verfassungen, verbunden durch gewisse feststehende gemeinsame Grundideen 
und doch wieder jede scharf ausgeprägt in besonderen Eigenthümlichkeiten. 
Bezeichnet man doch die gegenwärtige Verfassung als die zwanzigste seit 
der grossen Revolution! 
Welches die besondere Eigenart dieser letzteren sei gegenüber allen 
ihren Vorgängerinnen, das hebt der Verfasser mit kräftigen Strichen hervor: 
„die Verfassungsgesetze von 1875 sind ebensowenig wie aus einer kühnen 
staatsmännischen Conception, aus einer fertigen Doktrin hervorgegangen, son- 
dern vielmehr, unter langen Mühen und Kämpfen, allmählich herausgewachsen 
aus den gegebenen Umständen und provisorischen Gestaltungen* (S. 3). 
Hier hat nicht, wie früher, eine selbstbewusste zukunftssichere Gewalt ge- 
arbeitet, die ihren Sieg benützt zu freudiger Verwirklichung ihrer Ideen; 
alles ist im Wesentlichen Compromiss, Stückwerk, Nothbau. Die republi- 
kanische Staatsform selbst ist schliesslich nur endgültig geworden, als sich 
zeigte, dass nichts anderes möglich war, und mit Hülfe der Orleanisten. 
Wenn der ursprünglich anonyme Chef du pouvoir executif jetzt 
Präsident der Republik heisst, so erinnert er nur durch den Namen an 
seinen verhängnissvollen Vorgänger in der Verfassung von 1848. Er wird 
nicht mehr durch einen Akt des allgemeinen Stimmrechts unmittelbar er- 
nannt, er ist nicht mehr persönlich verantwortlich und dadurch ist ihm von 
vornherein ein stillerer Platz angewiesen. Desto unbedenklicher konnte man
	        
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