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deutsche Rechtswissenschaft nach Hause gebracht. Das gilt in erster Linie
französischen Gelehrten gegenüber. Die französische Rechtswissenschaft ist
hochgradig national und es fällt ihr besonders schwer, fremder Denkweise
sich anzuschmiegen. Dazu kommt noch die grossartige Uniformität des fran-
zösischen Schriftthums. Wer einmal eine Reihe französischer Lehrbücher
hinter einander durchstudirt hat, bekommt den Eindruck, dass sie alle wesent-
lich dasselbe sagen, als schrieben sie von einander ab. So feststehend sind
die Formen. Auch bei LEBoN liesse sich dieser enge Zusammenhang mit
Ducrocga und anderen leicht nachweisen. Diese Zusammengeschlossenheit
und Abgeschlossenheit ist natürlich ein grosses Hinderniss für ein wirksames
Arbeiten für das Ausland, das für seine Rechtswissenschaft Förderung will.
Ich beabsichtige jedoch nicht, gegen den französischen Gelehrten hier zu
polemisiren, Das Gastrecht soll uns heilig sein. Nur an dem, was mit seinem
Werke auf deutschem Boden geschehen ist, kann ich nicht stillschweigend
vorüber gehen.
LERON hat natürlich französisch geschiieben. Was uns vorliegt, ist
eine Uebersetzung seines Manuscıiptes. Und diese Uebersetzung ist eine
sehr bedenkliche Arbeit. Das Deutsch, in welchem sie geschrieben ist, ist
stellenweise recht unschön. Sie ist aber auch, und das wiegt schwerer, viel-
fach falsch und sinnentstellend. Der Uebersetzer hat keine Kenntniss der Ter-
minologie der französischen Staatsrechtswissenschaft und keine genügende
der Terminologie der deutschen.
Ich greife heraus, was die Uebersetzung ihren Autor vom Verord-
nungsrechte sagen lässt.
Nach Vorschrift der Verfassungen sowie der Einzelgesetze, welche be-
sondere Ermächtigungsklauseln enthalten, müssen die Vollzugsverordnungen
des Staatsoberhauptes im Staatsrathe verbreitet werden. Diese Verordnungen
heissen röglements d’administration publique, die Beschlüsse des Staatsober-
hauptes, durch welche sie erlassen werden: decrets portant r&öglement d'ad-
ministration publique. Die Uebersetzung nennt das: „Dekrete über
Vollzugsverordnungen der Staatsverwaltung“ (8.50), nachher (8. 51) einfach:
„ Verwaltungs - Verordnungen“. Das ist falsch. Verwaltungsverordnung
bedeutet in unserer Rechtssprache etwas ganz anderes. Der Ueber-
setzer hat sich durch den Klang des Wortes „administration“ irre leiten
lassen. Die r&glements d’administration publique sind allzumal Rechts-
verordnungen, actes de legislation secondaire, wie der Uebersetzer selbst
aus LEBoNn wörtlich eitirt (S. 50).
Ein Verordnungsrecht besitzen ausserdem auch mehrere Behörden. Auf
S. 23 werden demgemäss unter den Quellen des öffentlichen Rechtes („die
Texte“ sagt die Uebersetzung wörtlich für „les textes“, was in diesem Zu-
sammenhang eben „Quellen“ bedeutet) aufgezählt: ..... „4) die Verfügungen
(arrötes).“ Arrötes sind Beschlüsse der Behörden; dieselben sind entweder
arrötes speciaux ou individuels: Verfügungen, oder arretes generaux ou
Archiv für öffentliches Recht. V. 3. 98