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verletzt worden sind. Das zweite Prinzip eröffnet dagegen auch ohne diese
Vorraussetzung die Möglichkeit, die im Inlande ergriffenen Ausländer,
also nicht die abwesenden, zu bestrafen. Dies geschieht in sehr verschiedenem
Masse; am weitesten geht Oesterreich, nach dessen Gesetzgebung gegen den
eines Verbrechens Beschuldigten jedenfalls durch vorläufige Festnahme,
sodann zunächst durch das Angebot der Auslieferung und eventuell unmittel-
bar durch Bestrafung einzuschreiten ist. Auch nach den anderen, in Betracht
kommenden Gesetzgebuugen ist die bezügliche Strafzuständigkeit eine sub-
sidiäre, hinter die Auslieferungspflicht zurücktretende, und es wird dieselbe
überdies meist nur bei schweren Thatbeständen, die auch nach den Gesetzen
des Thatorts mit Strafe bedroht sind, und nur auf Anweisung der Landes-
regierung wirksam.
Es mag zu weit gegangen sein, wenn der Verfasser den anscheinend
nur der Österreichischen Gesetzgebung prinzipiell zu Grunde liegenden Ge-
danken, dass jeder Einzelstaat die Aufgabe habe, die eigene Strafgewalt zur
Sühne exterritorialer Rechtsverletzungen zu entfalten, auch den übrigen Ge-
setzgebungen als leitendes Motiv zuschreibt. Aber das Gefühl dafür, dass
unter den heutigen Verkehrs- und Freizügigkeits- Verhältnissen und gegenüber
den Erfindungen der Neuzeit und ihren Massen-Attentaten die frühere Zu-
rückhaltung der Strafgewalt gegen Ausländer nicht mehr aufrecht zu erhalten
ist, dürfte allerdings im Wachsen begriffen sein. Mit Recht wird auch, gegen-
über den früheren Bemängelungen der Theorie der Weltrechtsordnung, als
enthalte dieselbe einen Eingriff in die Souveränetät und Strafgewalt anderer
Mächte, darauf hingewiesen, dass jene Theorie keine kriminalistische, sondern
eine völkerrechtliche ist, ein System internationaler Rechtspflege, welches
Polizei, Auslieferung, Strafgewalt und Präventiv-Justiz umfasst, und dass die
Ausübung der Strafgerichtsbarkeit insbesondere nur in subsidiärer Weise
und innerhalb der erwähnten Schranken stattfinden soll. Die Legitimation
des strafenden Staates liegt nicht in dem Recht auf Unterthanen-Gehorsam,
sondern hier, wie überall im Strafrecht, in der Gerechtigkeit, welche der
öffentlichen Gewalt des Staates die Zuständigkeit eröffnet. Dass hierbei über
die Schranken der inländischen Eigenschaft des Thäters, bezw. des verletzten
Rechtsgutes, wie solche das Personalitätsprinzip und das Schutzsystem auf-
stellen, hinausgegangen wird, beruht somit nicht, wie die Anhänger dieser
Theorien wollen, auf blossen Erwägungen der Zweckmässigkeit. Vielmehr
ist, wie bereits H. Meysr, Lehrbuch, 4. Aufl, S. 162, hervorhebt, die in-
ländische Rechtsordnung verletzt, wenn der ausländische Verbrecher sich
ungestraft im Inlande befindet.
Dass aber gleichwohl alle Staaten die Verantwortlichkeit des Ausländers
für extraterritoriale Delikte in geringerem Masse in Anspruch nehmen als die
des Inländers, kann hiernach nicht in kriminalistischen Erwägungen begründet
sein. Der Grund des Unterschieds ist vielmehr ein völkerrechtlicher: das
Verhältniss des Staates zu seinen Unterthanen ist cin anderes als das ledig-