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Favre heimische, in Italien vom Standpunkte des kosmopolitischen Straf-
rechtsprinzips tiefer begründete doktrinäre Forderung unbedingter Aus-
lieferung der Nationalen, sondern auch die massvollere Meinung gewisser
deutscher und österreichischer Rechtslehrer, welche dem angefochtenen Grund-
satze nur den Charakter des zwingenden Rechts nehmen will, indem sie
vorschlägt, dass die zur Strafverfolgung berufenen Landesbehörden wegen der
Missstände, die eine Prozedur fern vom Thatorte haben kann, ausnahmsweise
die Auslieferung des Inländers, namentlich im Falle seiner Zustimmung sollen
beantragen dürfen. Abgesehen von den Bedenken, dass man der Regierung
jedenfalls nicht das Recht verleihen könne, eine rechtshängige Sache an das
Ausland abzugeben, würde durch jede solche Auslieferung das Staatsbürger-
recht seines kostbarsten Inhalts, des richterlichen Schutzes beraubt, und die
Regierung immer wieder vor die Frage gestellt, ob sich dies mit ihrer ver-
fassungsmässigen Pflicht vertrage.e Auch die Zweckmässigkeits-Erwägungen
— wenn solche in einer Verfassungs- und Rechtsfrage überhaupt in Betracht
kämen — sprechen nach v. M. überwiegend für die Festhaltung des ange-
fochtenen Prinzips. Die Gegner des letzteren übertreiben die Vortheile der
Prozedur am Thatorte, welche für viele strafbare Handlungen überhaupt
nicht bestehen, und übersehen, dass auch für das Landesinnere anderweitige
Zuständigkeiten zugelassen werden, und dass in der That vielfach für den
ausgelieferten Inländer die gefährlichsten Einflüsse nationaler, politischer,
kirchlicher und gesellschaftlicher Gegensätze im Auslande zu fürchten sind,
namentlich bei Betheiligung der Laien am Richteramte. Mit Unrecht wird
der bestehende Grundsatz auf Motive des Eigennutzes, der Selbstüber-
schätzung und des gegenseitigen Misstrauens der Mächte zurückgeführt,
während anderseits wohl zu beachten ist, dass eine Regierung, welche über-
haupt Ausnahmen von dem Grundsatze zulässt, hierdurch leicht in Verlegen-
heiten geräth, indem sie durch Gestattung der Auslieferung sich für die
Zukunft bindet und durch Versagung derselben in die missliche Lage kommt,
fremden Völkern COensuren über die Mangelhaftigkeit ihrer gerichtlichen
Einrichtungen zu ertheilen. Der Verfasser verlangt daher, dass die ganze
Bewegung gegen den in Rede stehenden Grundsatz aufgegeben werde, so
sehr auch die mit dem letzteren verbundenen Unvollkommenheiten und
Beschwernisse anzuerkennen seien. Nicht in der Auslieferung der eigenen
Staatsbürger, sondern in der von dem übereinstimmenden Rechtsbewusstsein
der Jahrhunderte getragenen Personalmaxime liegt nach ihm die Lösung des
völkerrechtlichen Problems, dass der Verbrecher nirgends auf Erden ein
Asyl finde.
Soviel Wahres diese Ausführungen auch enthalten, so dürften sie doch
nicht hinreichen, um die Meinung zu widerlegen, dass ein absolutes Verbot
der Auslieferung eigener Unterthanen sich nicht rechtfertigt. Der für ein
solches Verbot geltend gemachte theoretische Grund der Verpflichtung des
Staates, gegenüber seinen Angehörigen Gerechtigkeit in ausschliesslicher