— 432 —
drücke promiscue anwendet, gebraucht die französische Doktrin die Bezeich-
nung „internationales Recht“ als gleichbedeutend mit der Lehre von der
Statutenkonkurrenz; das droit international priv6 wird in diesem Sinne dem
Völkerrecht oder dem droit international public gegenübergestellt. Der
erstere Begriff umfasst aber in der modernen englisch-amerikanischen Theorie
alle Theile nationaler Rechtsordnungen, wobei ausländische Personen, Sachen,
Verhältnisse in's Spiel kommen, also neben civilrechtlichen, strafrecht-
lichen und prozessualen Normen das internationale Finanz-, Eisenbahn-,
Gewerbe-, Armen-Recht u. s. w. Was nicht die Beziehungen der Staats-
Gewalten zu einander angeht und damit völkerrechtlich ist, gilt als privatrecht-
lich. Für LAURENT und einzelne deutsche Systematiker ist das internationale
Civilrecht nur ein Zweig des Völkerrechts und wird mit dem letzteren zu-
sammen behandelt.
v. M. seinerseits will die Begriffe des Völkerrechts und des internatio-
nalen Rechts mit Schärfe auseinanderhalten. Jenes hat, wie er ausführt,
einen autoritativen Charakter, es geht dem Landesrechte vor, ist allgemein
gültig nach seinem Rechtsgrunde. Das internationale Personen-, Vermögens-,
Straf- und Prozess-Recht, in dem Sinne des praktischen Verhältnisses der
bezüglichen Normen eines Staates zu denjerigen eines anderen, ist dagegen
nicht in dieser Weise völkerrechtlich geordnet, vielmehr den einzelnen Staaten
zur Ordnung überlassen. Allerdings hat aber auf diesem Gebiet eine Aus-
gleichung der Gegensätze stattgefunden, indem die Wissenschaft nament-
lich auf dem unpolitischen Gebiet des Privatrechts, unter Benützung der
Landesgesetzgebungen und in Abstraction von diesen, die begriffsnothwendigen
Beziehungen der einzelnen territorialen Rechtssysteme zu einander entwickelt
hat. Eine solche Theorie der sachlichen Abgrenzung der verschiedenen,
räumlich koordinirten Privatrechts- Normen ist international, zwar nicht,
was die in Rede stehenden Rechtsverhältnisse oder die Bindekraft der be-
züglichen Vorschriften angeht, wohl aber hinsichtlich der abgegrenzten terri-
torialen Rechtsordnungen und kann daher wohl als „internationales Privat-
recht“ bezeichnet werden. Seine Autorität ist nur die des wissenschaftlichen
Rechts, Ganz dasselbe gilt von den Ordnungen des öffentlichen Rechts, von
denen jede eine internationale Seite hat: dem internationalen Privatrecht
entspricht das internationale Civilprozess-Recht, Strafrecht, Verwaltungsrecht.
Charakteristisch für das internationale öffentliche Recht ist die weit grössere
Abhängigkeit vom Auslande, die Nothwendigkeit der Rechtshilfe und damit
die weit eingehendere Regelung durch Staatsverträge. — Es wäre erwünscht,
wenn Doktrin und Praxis in Zukunft auf diesem Gebiete einem bestimmteren
Sprachgebrauch huldigen und namentlich den übermässig erweiterten Begriff
des internationalen Privatrechts in der vorgeschlagenen Weise einengen
würden. Fraglich kann nur erscheinen, ob die obige Unterscheidung be-
züglich des Charakters der Autorität des Völkerrechts und des internatio-
nalen Rechts überall zutrifft; manche Sätze des ersteren dürften gleichfalls