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nur die Autorität wissenschaftlichen Rechts zu beanspruchen haben, während
die Geltung der durch Staatsverträge festgestellten Vorschriften des inter-
nationalen Rechts doch wohl einen anderen, positiven Charakter hat.
Das internationale Strafrecht im weiteren Sinne zerfällt nach
v. M. in drei Theile: 1) die dem materiellen Strafrecht angehörende Theorie
der Kompetenzabgrenzung der staatlichen Strafgewalten, 2) das internationale
Strafprozessrecht, welches die Beziehungen der inländischen Strafgewalt zum
Auslande entwickelt und die Würdigung ausländischer Thatsachen und Rechts-
Vorgänge zum Gegenstande hat, 3) die Rechtshilfe in Strafsachen,
inshesondere die Auslieferung, welche schon desshalb eine besondere Stelle
beansprucht, weil sie das Zusammenwirken zweier Staatsgewalten erfordert
und in das Recht zweier Staaten eingreift. Fällt die Ordnung des Aus-
lieferungs-Verfahrens auch unter das Strafprozessrecht, so ist doch die dem
Ausgelieferten auferlegte Freiheitsbeschränkung nicht prozessualer, sondern
polizeilicher Natur; die Auslieferung bedeutet nicht die antheilsweise Ueber-
nahme einer ausländischen Strafuntersuchung oder die Vollstreckung ihrer
Akte, sondern eine selbständige Anordnung der ersuchten Staatsgewalt, eine
Rechtshilfe, die nicht der Richter dem Richter, sondern die eine Regierung
der anderen leistet, auch wenn das Verfahren mit richterlichen Garantien
umgeben ist. Näher sind die Beziehungen der Auslieferung zum Strafrecht,
dessen Begriffe und Unterscheidungen sie zur Voraussetzung hat, wie ander-
seits die Möglichkeit der Auslieferung auch für die strafgesetzliche Behand-
lung exterritorialer Strafthaten von massgebender Bedeutung ist.
Noch inniger will eine, neuerdings im Wesentlichen auch wieder von
LamMmascH vorgetragene Theorie den Zusammenhang zwischen Strafanspruch
und Auslieferung gestalten, indem sie die letztere geradezu als Ausübung
staatlicher Strafgewalt, als Rechtspflege, nicht als Rechtshilfe auffasst. Der
Verfasser bekämpft diesen seltsamen Satz, der nur für die mittelalterliche
Welt mit ihrer einheitlichen Gerichtsgewalt zutreffe und mit der Entwicklung
der Landes-Souveränetät unhaltbar geworden sei. Schon die Theorie von
H. GrooT, welche dem Aufenthalts-Staat, wenn er sich nicht der Theilnahme
am Verbrechen und völkerrechtlicher Ahndung aussetzen will, das natur-
rechtliche Gebot auferlegt, entweder die ihm selbst zugeschriebene Straf-
gewalt auszuüben, oder den Verfolgten auszuliefern, stellt die Auslieferung in
Gegensatz zur Strafrechtspflege. In der That handelt es sich um zwei ge-
trennte Thätigkeitsgebiete vollziehender Staatsfunktion. Allerdings bewilligt
der ersuchte Staat die Auslieferung im Interesse des Rechts, darin liegt aber
eine wirkliche Rechtspflege nicht, da die Gerichtsbarkeit nothwendig ein
Element innerstaatlicher Ordnung darstellt und auf ein Verhältniss zweier
Staatsgewalten nicht angewendet werden kann, und da ferner für die Aus-
lieferung der völkerrechtliche Zweck massgebend ist, die Rechtsordnung des
Auslandes zu wahren, mag dabei immerhin auch das Interesse der eigenen
Rechtsordnung mit in Erwägung kommen. Für den Umfang, in welchem