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sprechung von Anlage und Inhalt im Allgemeinen, die ja übrigens auch ohne
dies bekannt genug sein dürften, ist desshalb hier nicht der Ort. Das Privat-
recht lässt sich jedoch ebensowenig behandeln ohne Berührung zahlreicher
öffentlichrechtlicher Fragen wie das öffentliche Recht unter Ver-
meidung aller privatrechtlichen Incidentpunkte. Es ist zunächst die Grenz-
linie zwischen privatem und öffentlichem Rechte zu ziehen, und auch sonst
ergeben sich mannigfaltige Berührungspunkte. Lediglich diese Detailfragen
des öffentlichen Rechts, welche in dem Buche eine Stätte gefunden haben,
sollen hier zur Erörterung gelangen.
Oeffentliches und Privatrecht sind, wie der Verfasser Bd. 1, 8. 67 aus-
führt, verschieden nach ihren Grundlagen, indem das öffentliche, d. h. die
Verhältnisse der Gesammtheit ordnende Recht einzig durch die Bestimmungen
des Staates gegeben sei, das Privatrecht dagegen in dem Gedanken wurzele,
dass dem Individuum als solchem kraft seiner Persönlichkeit unmittelbar
Rechte zukämen. Der Staat regele daher die Privatrechte, aber er erfinde
sie nicht, er sichere sıe, aber er habe sie nicht geschaffen. Das öffentliche
Recht soll demnach nur in dem Staate und durch denselben, das Privatrecht
auch unabhängig vom Staate bestehen können. Es mag hier von: der Beant-
wortung der rechtspbilosophischen Frage abgesehen werden, ob jemals un-
abhängig vom Staate ein Privatrecht existiri hat, ja ob ein solches auch nur
existiren kann, wenn man sich das schützende Dach des Staates wegdenkt.
Es soll auch weiter der Einwurf nicht gemacht werden, dass es ein Ge-
wohnheitsrecht ebenso wohl auf dem Gebiete des öffentlichen wie des pri-
vaten Rechts geben kann, und öffentlichrechtliche Gewohnheiten doch nur
dann „einzig durch die Bestimmungen des Staates gegeben“ sind, wenn man
die Geltung des Gewohnheitsrechts aus einer stillschweigenden Genehmigung
der gesetzgebenden Staatsgewalt erklärt, was Seitens des Verfassers in $ 21
(Gewohnheitsrecht) nicht geschieht. Der vom Verfasser aufgestellte Ein-
theilungsgrund klingt nicht unbekannt, er tönt herüber aus einer längst ent-
schwundenen Zeit, nur die Anwendung auf Öffentliches und Privatrecht ist
neu. Der Gedanke, der dem Privatrechte untergeschoben wird, dass dem
Individuum als solchem kraft seiner Persönlichkeit unmittelbar Rechte zu-
kommen, was ist er anderes als die Lehre des Naturrechts und der Auf-
klärungsphilosophie von den angeborenen Rechten des Individuums ? Und
das einzig durch die Bestimmungen des Staates gegebene Recht, würde man
dies vor hundert Jahren nicht als Jus civile dem Jus naturale gegenüber-
gestellt haben? Der Gedanke des Naturrechts von den angeborenen Rechten
des Individuums ist durch die Arbeit der historischen Schule mit Recht
überwunden, gleichwohl soll er noch jetzt die Grundlage des Privatrechts
bilden. Ungelöste Fragen drängen sich dabei in grosser Zahl auf. Warum
soll nicht auch im öffentlichen Rechte das Individuum kraft seiner Persön-
lichkeit unmittelbar Rechte haben? Warum ist das angeblich vom Staate
relativ unabhängige Privatrecht genau ebenso staatlich verschieden wie das