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öffentliche Recht ? Wo bleibt die Grenzlinie, wenn der Staat das Öffentliche
Recht regelt, aber doch auch das Privatrecht regeln kann ?
Nein, nicht die Grundlage von privatem und öffentlichem Rechte ist
eine verschiedene — beide gehen hervor aus dem im Staate zum Bewusstsein
und zur Personifikation gelangenden Volksgeiste —, sondern das immanente
Prinzip des Privatrechts ist ein anderes als dasjenige des öffentlichen Rechts.
Das Privatrecht grenzt die Rechtssphäre verschiedener Privatpersonen derart
gegen einander ab, dass, sobald die Privatrechtsnormen Personen betreffen,
daraus für dieselben einander korrespondirende subjektive Rechte und Pflichten
entstehen. Dabei darf man allerdings das subjektive Recht nicht bloss mit
dem Verfasser a. a. O. S. 67 als Antheil des einzelnen an den Lebensgütern
auffassen, welche ihm das Recht in Achtung seiner Persönlichkeit gewähr-
leistet, sondern als Rechtsanspruch gegenüber anderen Rechtspersönlichkeiten,
denen ihrerseits die dem subjektiven Rechte korrespondirenden subjektiven
Pflichten obliegen. Das öffentliche Recht ist dagegen durchdrungen von dem
Prinzipe des staatlichen Herrschaftsrechts, es grenzt die Willensmacht des
Staates gegenüber der Gehorsamspflicht der Unterthanen ab. Wenn auch
aus ihm gelegentlich sekundär subjektive Rechte und Pflichten Einzelner
gegen einander erwachsen können (Wegelasten, Schullasten, Anspruch auf
Busse etc.), so ist doch das Charakteristische die Normirung des staatlichen
Herrschaftsrechts gegenüber anderen Rechtssubjekten.
Die unzutreffende Abgrenzung des Verfassers zwischen privatem und
öffentlichem Rechte macht sich nun in ihren Konsequenzen nach verschiedenen
Richtungen geltend. Vor Allem ergiebt sich daraus die Möglichkeit eines
Konflikts beider Rechte. Das Privatrecht, aufgefasst als Inbegriff der die
Rechtssphäre der Privatpersonen gegen einander abgrenzenden Rechtsnormen,
liegt auf einem ganz anderen Gebiete als das öffentliche Recht, welches es mit
Staat und Unterthanen zu thun hat. Eine Kollision oder ein Konflikt beider
Rechte ist also ihrer Natur nach ausgeschlossen, da überall dort, wo der Staat
bei einem Rechtsverhältnisse betheiligt ist, dasselbe dem Öffentlichen Rechte
angehört. Sieht man dagegen mit dem Verfasser in dem Privatrechte den In-
begriff der an sich vom Staate unabhängigen, angeborenen Rechte des In-
dividuums, so ist nicht abzusehen, wesshalb diese Individualrechte nicht auch
dem Staate gegenüber zur Geltung gelangen sollten. Dass in diesem Falle
das Individualrecht dem Staatswillen, dass das Privatrecht dem öffentlichen
Rechte weichen muss, unterlässt der Verfasser juristisch zu rechtfertigen, und
kann er auch von seinem Ausgangspunkte aus gar nicht juristisch begründen,
da die Prinzipien beider Rechte an sich von gleicher Kraft sind, aber nach
der vom Verfasser vorgenommenen Abgrenzung der Gebiete die Möglichkeit
einer Kollision vorliegt. So wird denn S. 68 eine Erklärung der Thatsache, dass
bei dem sogen. Konflikte das Privatrecht den Kürzeren zieht, vom reinen Utili-
tätsstandpunkte versucht: „Die Vortheile, welche das Privateigenthum in seiner
. Festigung und Sicherung durch die Staatsgewalt findet, werden gleich-