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so war es nicht allzuschwer, darauf ein theoretisches System der Okkupation
fest aufzubauen und diesem die verschiedenen, mannigfachen Erscheinungen
der positiven historischen Entwickelung einzufügen.
Der Verf. hat nun da angefangen zu arbeiten, wo Ref. aufgehört hat.
Er hat die von ihm als solid erkannte Grundlage, so wie er sie beim Ref.
vorfand, ohne Weiteres adoptirt und darauf seine weiteren Ausführungen
gegründet. Und er hat, wie der Erfolg zeigt, sehr wohl daran gethan.
Ein grosser Theil des Werkes entbehrt demgemäss des Werthes selb-
ständiger wissenschaftlicher Forschung. Alle Ausführungen über die Grund-
begriffe, wie Souveränetät und Gebietshoheit im Gegensatz zum privaten
Eigenthumsrecht (Notions preliminaires, p. 5—29), sind nichts weiter als eine
allerdings sehr klare und elegante Wiedergabe der Darstellung des Ref.,
wie dies der Verf. übrigens selbst ausdrücklich bezeugt (p. 13, N. 1). Der
Arbeit des Ref. sind ferner zum grossen Theil Plan und Eintheilung des
Werkes (nach Subjekt, Objekt und Titel des Gebietserwerbs), sowie eine
Reihe grundlegender Einzelausführungen entlehnt; so z. B. die Unter-
suchungen über die rechtliche Natur des Gebietserwerbs durch Privatpersonen
im 1. Kap. des 2. Theils (vgl. bes. p. 135), über den Rechtscharakter der
Cessionsverträge mit Häuptlingen uncivilisirter Völkerstämme (p. 217 ff.)
und über das Wesen der occupatio bellica (p. 23 fi.). Ref. kann eine
derartige Aneignung der Resultate fremder Arbeit, wenn dabei, wie
es der Verf.sehr gewissenhaft thut, stets der benutzten Quelle Erwähnung
geschieht, nur durchaus billigen. Es wäre eine unnütze Vergeudung von
Zeit und Mühe, eine gethane Arbeit, deren Methode und Resultate man
als richtig erkannt hat, noch einmal leisten zu wollen. Hier darf der
Nachfolger sich ruhig auf die Schultern seines Vorgängers stellen. Die
eigenen Leistungen des Verf. aber sind verdienstlich genug, um seinem
Buche eine selbständige wissenschaftliche Bedeutung zu verleihen. Jeden-
falls ist es die erste auf rein öffentlichrechtlichen Begriffen aufgebaute, ziem-
lich erschöpfende Darstellung der völkerrechtlichen Okkupationslehre. Dieser
Ruhm kann dem Verf. nicht streitig gemacht werden. —
Sehen wir uns nun den Inhalt des Buches näher an. Der erste
Theil enthält eine Einleitung, welche ausser der bereits erwähnten
Darlegung der Grundbegriffe (sect. 1) einen kurzen Ueberblick über die
geschichtliche Entwickelung der Okkupation giebt (sect. 2). Der Verf.
unterscheidet dabei im Allgemeinen richtig drei Perioden: die der päpst-
lichen Bullen, die des Entdeckungsrechts und der fiktiven Okkupation und
endlich die moderne Periode der effektiven Okkupation. Das Ganze ist
nur eine Skizze, welche auf Vollständigkeit keinen Anspruch macht; doch
sind, was besonders für die erste Periode anzuerkennen ist, die wichtigsten
Quellen gebührend berücksichtigt und die in den einzelnen Zeitabschnitten
herrschenden Rechtsanschauungen im Allgemeinen zutreffend charakterisirt.
Bei der Darstellung der 3. Periode beschäftigt sich der Verf. haupt-