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um die Beantwortung der schwierigen Frage, welche Gebiete vom völker-
rechtlichen Standtpunkte unter den Begriff der res nullius fallen. Diesen
Begriff definirt Verf. zunächst ganz richtig: „jedes Gebiet, welches
keinerlei Art von Souveränetät unterworfen ist“ (p. 197); als solche will
er aber (p. 200) „jeden noch so rudimentären und unvollkommenen Anfang
einer politischen Organisation auch bei wilden und halbwilden Volksstämmen“
betrachtet wissen. Sind auch nur die geringsten Anfänge einer politischen
Organisation vorhanden, so ist das Gebiet nicht mehr res nullius und kann
nicht mehr Objekt einer einfachen Okkupation sein, sondern nur „einer be-
sonderen Art der Okkupation, deren charakteristisches Unterscheidungsmerkmal
der vorgängige Abschluss eines die Zustimmung der Eingeborenen konstati-
renden Vertrags ist“ (p. 200). Es ist dies die von MEYER und Ref. als
„qualifizirte Okkupation“ bezeichnete Art des Gebietserwerbs.
Nachdem der Verf. soweit die Frage im Allgemeinen richtig beantwortet,
hat er dieselbe durch die weiteren Ausführungen des 2. Kap. wieder
gänzlich verwirrt. Hier wirft er überall die allgemeinen Menschenrechte
und privaten Eigenthumsrechte der Eingeborenen mit staatlichen Gebiets-
hoheitsrechten zusammen und verwechselt die Zugehörigkeit zur Menschheit
mit der Zugehörigkeit zur internationalen Rechtsgemeinschaft. Die erstere
umfasst allerdings auch die wilden Völker ohne Unterschied der Hautfarbe und
Civilisation ; die letztere dagegen umschliesst nur die staatlich organisirten
Völker, und auch diese nicht alle. Damit dass die Souveränetät des
Sultans von Sansibar von verschiedenen Mächten und auch von der Berliner
Konferenz anerkannt worden, ist noch lange nicht bewiesen, dass man auch
jeden nomadisirenden Negerstamm als Subjekt staatlicher Hoheitsrechte
anerkannt habe. Auch muss hier das Völkerrechtsinstitut gegen die
Behauptung des Verf. (p. 210), es habe die wilden Eingeborenenstämme
als Glieder der internationalen Rechtsgemeinschaft (!) betrachtet wissen
wollen, energisch in Schutz genommen werden. Jedenfalls ist dem Verf.
der Beweis, den er in diesem 2. Kap. führen wollte, dass nämlich den
Eingeborenen ein die Okkupation ausschliessendes Gebietshoheitsrecht zu-
stehe, nicht gelungen. Er hat diesen Beweis auch gar nicht scharf in
Angriff genommen, sondern sich mit allgemeinen Redensarten über die
„Rechte“ der Eingeborenen begnügt. Der Zweck dieser Ausführungen
leuchtet überhaupt nicht recht ein; denn dieselben werden unmittelbar
darauf im 3. Kap. vom Verf. selbst wieder verleugnet. Hier nämlich
erklärt auch er, im Anschluss an die von STENGEL, MEYER und Ref. ver-
tretene Auffassung, dass auch bei Vorhandensein eines wie immer bezeich-
neten Vertrags mit den Eingeborenen, der Gebietserwerb sich juristisch
doch nur aus der nachfolgenden Okkupation und nicht schon aus dem
Cessionsvertrag ableiten lasse, und zwar weil nemo plus iuris in alterum
transferre potest quam ipse habet. Dass diese Auffassung zu seiner vorher
vertretenen Ansicht über die Rechte der Eingeborenen an ihrem Land in