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so kann hieran jede objektive Betrachtung des wirklichen staatlichen Lebens
und nicht etwa bloss „diejenigen Parteibestrebungen einen Anstoss nehmen,
denen die Existenz eines preussischen Staates in seiner gegenwärtigen Form
ein Dorn im Auge ist, und die vergessen, dass unsere Herrscher Könige
sind von Gottes Gnaden.“ H. v. ScHauze’s Werk, das zur staatsrechtlichen
Bildung unserer Zeitgenossen sein gut Theil beigetragen hat, hat sich niemals
die Kraft zugemuthet aus einem einzigen möglichst scharf formulirten Princip
heraus die tausendfältigen Eigenthümlichkeiten, die aus den verwickelsten
Geschichtsumständen hervorgegangenen Gestaltungen des modernen Staaten-
lebens zu erklären; es hat den Stoff nicht mühselig in Formeln und Schemen
aufgehen lassen, welche die sinnvollen Zwecke des wirklichen aus aus-
geglichenen Gegensätzen hervorgegangenen Lebens gar nicht mehr zu kennen
scheinen und mit Gelassenheit über dieses hinwegsehen um den tiefsten Sinn
der Welt in der Beobachtung einer starren Entwicklung eines einzigen
immer nur theilweise wahren Princips zu suchen. Nur diese abgeklärte Ruhe
im Gebiete des Principiellen erhebt das ältere Werk über das jüngere, —
welches an anderer Stelle nähere Prüfung und Würdigung finden soll, — da
das letztere trotz mancher Irrthümer im Detail seiner Angaben, in der
Verwerthung des neueren Gesetzesstoffes, in der Heranziehung des Judikaten-
materials grössere Sorgfalt erkennen lässt.
Die Mängel der ersten Auflage ScH.s sind naturgemäss auch der
zweiten anzumerken: eine gewisse Breite der systematischen Anlage, ein
häufiger Gebrauch von Quellen aus zweiter Hand, eine Fortführung traditio-
neller Citate, welche vielfach durch jüngeres und zutreffenderes Material zu
ersetzen gewesen wären. Diese Mängel werden aber reichlich aufgewogen
durch das Talent des Verfassers die Brücke zwischen den Ergebnissen der
fachlichen Arbeit früherer Tage und unserer reichbewegten Zeit vor dem Ver-
fall zu hüten, sowie durch die andere Eigenart des verstorbenen Rechtslehrers
uns ohne umständliche Vorkehrungen gewissermassen die Geburt wichtiger
Rechtseinrichtungen, die Lösung entscheidungsvoller Konflikte miterleben zu
lassen. ScHULZE hat dabei weit mehr als dies u. A. v. RÖNNE zu eigen
war, einen scharfen Blick für das juristisch Relevante aus parlamentarischen
Diskussionen, politischen Vorgängen aller Art. Es kann nicht unsere Auf-
gabe sein, bei Anzeige der neuen Auflage einzelne Punkte in Zustimmung
oder Polemik aus der Gesammtdarstellung herauszugreifen; die Raumökonomie,
das uralte Leiden deutscher Fachzeitschriften nöthigt uns, es hier bei der
Anerkennung der Thatsache bewenden zu lassen, dass der Verfasser es nicht
an Bemühungen fehlen liess, Lücken der ersten Auflage auszufüllen, Ver-
änderungen und Fortschritten der Gesetzgebung in Preussen und im Reiche
möglichst Rechnung zu tragen. Sowohl die praktischen Neuerungen im Ge-
biete der Verwaltungsorganisation, des Verwaltungsprocesses, als auch theo-
retische Streitfragen und Strömungen, welche seit der ersten Auflage zu
grösserer Anerkennung und Verwerthung in der Rechtsprechung gelangt