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gewonnenen Lehrsätze setzen wir die sociale Norm. (Genauere Ausführung
müssen wir auf andere Orte verschieben.)
Da nun Leben wie positive Satzung den unberechenbaren Gewalten
der Volksentwickelung unterthan sind, so halten wir von vornherein den
Standpunkt Rocuvin’s, rein logisch eine „science juridique pure“ aufzubaucn,
für verfehlt. Die Deduction hat nur dann ihre Berechtigung, wenn sie —
wie BEKKER dies soeben in seinen Pandekten Bd. II 1889 in bewunderungs-
werther, den Rechtsstoff nach allen Seiten beherrschender Weise vor Augen
führt — den Flug der Constructionen mässigt durch den fest auf das histo-
risch und national entwickelte Recht gehaltenen Blick.
Wir erkennen bei Rosum vollauf an das energische Durchdenken aller
Probleme, ebenso dass er bei einzelnen Entwickelungen mit grosser über-
zeugender Kraft zu fassen weiss: aber die feine logische Zerlegungskunst
befriedigt nicht durch juristische Erfolge und zuweilen wird sie so haar-
spaltend, dass sie zersplittert. So bei der Frage, ob der absolute Charakter
eines Rechtes verloren geht, wenn einer, mehrere, viele, alle mit Ausnahme
eines in einem gegebenen Falle dem Gegner das Eigenthum abstreiten
können? (S. 209.)
Der zweite Theil des Werkes (S. 117—188) zieht eine Reihe von Folge-
rungen aus der gegebenen Analyse für: Thatbestand und Recht, das Wesen
der Souverainität, die Steuervertheilung, die Statutentheorie, den Gegensatz
von öffentlichem und privatem Rechte. Der dritte Theil gibt ein aus-
gearbeitetes System des Privatrechtes (S. 191—427.)
Aus dem Inhalte, soweit er an dieser Stelle interessiren dürfte, heben
wir noch folgendes hervor:
Die Souverainität wird geschieden in la souverainete ä l’exterieur und ä l'in-
terieur. Die erstere löst sich in die Alternative : entweder ein Staat ist „absolu-
ment isole“, dann ist seine absolute S. ein factum, kein Recht; oder er steht in
Beziehungen zu anderen Staaten, dann hat er sich hierdurch bereits in be-
stimmter Weise gebunden und nothwendig einzelne Rechte aufgegeben, denn
jeder auch der internationale Vertrag enthält Bindung und Rechtsveräusserung.
Daraus folgt, dass es eine unbeschränkte Souverainität nach aussen von
Rechtswegen nicht gibt: Die innere Souverainität ist: „la r&union des
pouvoirs de decision supr&me en toute matiere constitutive, lEgislative, gouver-
nementale, administrative, judiciaire etc.“ Der einzig wahre Souverain wäre
also nur derjenige, welcher die Gesammtheit aller dieser Gewalten zuhöchst
in sich vereinigt; fehlt auch nur eine von diesen, so ist es logisch nicht mehr
gestattet, von Souverainität zu sprechen. Für das Deutsche Reich, überhaupt
für jeden Föderativstaat gibt es also keinen Souverain! (S. 136, 137.)
Die Norm für die Scheidung zwischen privatem und öffentlichem Rechte
erblickt Rogum in den betheiligten Subjeeten: alle Rechtsbeziehungen, in
denen der Staat berechtigtes oder verpflichtetes Subject ist, gehören zum
öffentlichen Rechte. (LruTHoLp hat dasselbe bereits in den Annalen des