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hang mit der alten Kommission“ aufgeben müssen; sie hat geleistet, was sie
leisten konnte, ihr gefällt ihre Schöpfung, sie wird also davon aufrecht zu
erhalten suchen so viel wie möglich ist, und sollen oder werden die neuen
Mitglieder den alten bei jeder Gelegenheit ins Gesicht sagen, dass ihr Werk
nicht zu brauchen sei? Allein auch abgesehen hievon erscheint uns die
vorgeschlagene und überhaupt jede neue Kommission verfehlt; mit Recht
verlangt G. vom Verfasser des künftigen Gesetzbuchs schöpferischen Geist:
nur ein solcher kann ein formvollendetes Werk aus einem Guss zu-
standebringen; das Werk einer neuen, namentlich aber der etwas bunten
G.’schen Kommission könnte, wenn es überhaupt fertig würde, nur eine
Sammlung von Majoritätsbeschlüssen oder das Produkt der verschie-
densten Kompromisse sein. Der einzig richtige Weg zum Ziel scheint uns
die Bestellung eines Verfassers — eines Juristen im eingangs bezeichneten
Sinn —, dem man juristische und andere Hülfskräfte nach seiner, nicht
nach des Bundesraths durch partikularistische Höflichkeitsrücksichten beein-
flusster Wahl beigibt; zuvor mag dem Reichstag Gelegenheit gegeben
werden, seine Meinung über die wichtigsten vom Gesetzbuch zu berührenden
socialen Fragen kundzugeben.
Ulm. Landgerichtsrath G. Pfizer.
Schuppe, W., Das Gewohnheitsrecht, zugleich eine Kritik der
beiden ersten Paragraphen des Entwurfes eines bürger-
lichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Breslau,
Wilhelm Köbner, 1890.
Der Gedankengang vorliegender Schrift ist folgender:
Die Frage, ob die Gewohnheit bloss Erkennungszeichen oder Entstehungs-
grund des Gewohnheitsrechtes sei, kann nicht ohne die allgemeinere Frage
nach dem Entstehungsgrunde des Rechtes überhaupt abgemacht werden. Da
unter Geltung des Rechtes nicht so sehr die thatsächliche Anwendung, als
vielmehr die Anerkennung des Rechtes, die übereinstimmende Meinung des
Sollens der Anwendung zu verstehen ist, so sind Entstehungs-, Geltungs-
und Verbindlichkeitsgrund des Rechtes gleichbedeutende Begriffe. Das Recht,
d. h. das geltende Recht, besteht aus willenskräftigen Ueberzeugungen. Wille
und Ueberzeugung sind ein Ganzes; Ueberzeugung existirt nicht ohne Wille
und umgekehrt. Wer das eine von beiden nennt, hat das andere mit-
genannt. (8.18.) Die Recht schaffende Ueberzeugung ist nicht etwa solche
davon, dass etwas Recht sei; denn die Ueberzeugung selbst ist Recht, sie schafit
dasselbe nicht als etwas ausserhalb ihr Mögliches. Die Ueberzeugung, welche
das Recht ausmacht, ist vielmehr solche von dem Müssen und Sollen einer
Handlungsweise. Sie ist in letzter Instanz auf eine Werthschätzung ge-
gründet. Der Gegenstand, der Werth, welcher geschätzt wird, ist der der
„Bewusstseinsconcretion“ als solcher. Diesen eigenthümlichen Ausdruck hat
Verfasser schon früher (Grünhut’s Zeitschrift Bd. TX S. 168) erklärt; er
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